DS056 - Der schwarze Tod
ersten Rettungswagen eintrafen, hatte der Bronzemann eine Viertelstunde lang Zeit, sich in dem Haus des verstorbenen Anthony Hobbs umzusehen, in dem es spuken sollte.
Jetzt brannte dort kein Licht mehr. An einem Deckenhaken konnte Doc noch Reste des Stricks sehen, mit dem sich der Millionär seinerzeit erhängt hatte.
10.
Es war am folgenden Tag. Mehr als hundert Augenpaare hoben sich von den Büchern, in denen sie lasen. Und es mußte schon ein ganz besonderer Anlaß vorliegen, wenn sich diese eingefleischten Bücherwürmer in der öffentlichen Bibliothek an der Fünften Avenue, Ecke 42. Straße ablenken ließen.
Tatsächlich war noch niemals eine so eindrucksvolle Gestalt in diesen Räumen gesehen worden, dazu noch mit bronzefarbener Haut und strahlenden braunen Augen, in denen Goldflitter zu tanzen schienen.
Mit gelangweiltem Blick sah die Frau mittleren Alters hinter dem Schalter für Nachschlagbände von den Zeitungen auf.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie eifrig.
»Sagen Sie, Mrs. Potts« – ihren Namen hatte der Bronzemann dem Namenstäfelchen entnommen – »Sie haben doch sicher ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Können Sie sich noch an den Fall Anthony Hobbs erinnern? Ich suche nach Zeitungsberichten über seinen plötzlichen Tod.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte die für Zeitungssammelbände zuständige Mrs. Potts. »Er war einer von vielen, die sich über Nacht plötzlich am Bettelstab sahen.«
»Können Sie sich noch an das ungefähre Datum erinnern?« fragte Doc.
»Sehen Sie in den Ausgaben zwischen dem 10. und 20. November 1929 nach«, riet ihm Mrs. Potts.
Doc suchte sich die betreffenden Bände heraus. Der seltsame Fall von Anthony Hobbs hatte tagelang die Titelseiten gefüllt. Anscheinend war er ein sehr vorsichtiger Investor gewesen, hatte sein Vermögen in sicheren Papieren angelegt und auch nach dem großen Börsenkrach im Oktober, wie man in Wall-Street-Kreisen zu sagen pflegt, »recht gut dagesessen«.
Dann war plötzlich irgend etwas geschehen. Aber kein noch so neugieriger Journalist hatte anscheinend herausbringen können, wie Anthony Hobbs auf einen Schlag all seine Millionen losgeworden war. Buchstäblich von einem Tag auf den anderen.
Der Bronzemann machte sich keine Notizen. Er speicherte alle Einzelheiten, die er in der Vielzahl der Berichte über Anthony Hobbs’ Tod fand, in seinem phänomenalen Gedächtnis.
Anscheinend war es Mrs. Hobbs gewesen, die im Wohnzimmer die an dem Strick hängende Leiche entdeckt hatte. Sie war prompt in Ohnmacht gefallen. Eine Woche, nachdem sich Anthony Hobbs erhängt hatte, war sie in einem Krankenhaus gestorben.
Während Doc in die Zeitungsberichte vertieft war, sprachen zwei Männer, die wie Gangster aussahen, kurz mit Mrs. Potts. Es ging um nichts weiter als eine Theaterproduktion von vor zwei Jahren und die Berichte darüber. Im Gegensatz zu den anderen Besuchern schenkten sie dem Bronzemann keine Beachtung.
Nach seinem Selbstmord war Anthony Hobbs’ Vermögen einer gerichtlich angeordneten Buchprüfung unterzogen worden. Doc merkte sich den Namen der Buchprüfungsgesellschaft, die sie vorgenommen hatte.
Doc ging dann zum Schalter zurück, bedankte sich bei Mrs. Potts und verließ das Bibliotheksgebäude. Er fuhr nur selten mit der U-Bahn. Aber es war gerade Mittag und deshalb kaum ein Taxi zu bekommen. Doc ging die 42. Straße bis zur Siebenten Avenue und dort den U-Bahn-Eingang hinunter. Hier herrschte das übliche mittägliche Gewühl. Hunderte von Passagieren drängten sich auf den Bahnsteigen.
Der U-Bahn-Wagen, in den Doc einstieg, war gerammelt voll. Gut die Hälfte der Passagiere mußte stehen und sich an Halteschlaufen festhalten. Manche hielten in der anderen Hand sogar noch eine Zeitung oder ein Buch und lasen. New Yorker haben es darin zu besonderen Fähigkeiten gebracht.
Schlingernd ratterte der U-Bahnzug durch die Tunnelröhre. Doc brauchte sich nirgendwo festzuhalten. Er glich die Schlingerbewegungen des Waggons automatisch mit den Beinen aus. Frauen hörten zu lesen auf und starrten in sein Bronzegesicht.
Doc reagierte auch nicht, als er im Rücken den Druck von etwas Hartem spürte. Er registrierte aber sofort, daß der Gegenstand nicht die Mündung einer normalen Waffe sein konnte; dazu war die Spitze zu dünn.
Doc sah starr geradeaus. Er wartete.
Hinter ihm standen die beiden Gangstertypen, die in der Bibliothek mit Mrs. Potts gesprochen hatten. Der eine brachte seinen Mund dicht an Docs
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