Dschungel-Gold
Fressen, Saufen und Ficken. Jeder Mensch, auch der Gottloseste, braucht seine eigene Gottheit. An die lehnt er sich an … es kann Jesus sein oder ein Revolver oder ein Messer oder eine Machete oder irgend etwas, das einem Halt gibt. Da hast du in Diwata eine Marktlücke entdeckt … gratuliere.«
Tortosa sah Pérez eine Weile stumm an. Er kam sich leer, seiner Knochen beraubt und ausgeblutet vor. Eine Hülle, die keinen Inhalt mehr hatte. Mit hängenden Armen stand er da, zu seinen Füßen der Guerillero, vor dem ihn Pérez gerettet hatte, und er wußte nicht, was er tun sollte, er wußte nur, daß er am Ziel war, daß er seinen Auftrag bis auf eine Kleinigkeit erfüllt hatte, und daß er diese Kleinigkeit nun nicht mehr vollbringen konnte: Man kann nicht den Mann töten, der einem gerade das Leben gerettet hat. Auch militärische Befehle können eine moralische Grenze haben.
Pérez hob die Augenbrauen. »Was starrst du mich so an?« fragte er. »Wie heißt du wirklich?«
»David. Wirklich, David«, antwortete Tortosa heiser vor innerer Erregung. »Und du?«
»Antonio …«
»Auch wirklich?«
»Nein.« Pérez bückte sich und griff nach seinem im Gras liegenden Gewehr. »Eigentlich kennt meine Mutter mich unter einem anderen Namen.«
»Und den willst du für dich behalten …«
»Dir gegenüber nicht. Warum sollte ich? Du lebst doch nur noch durch mich. Ich heiße Suffolk. Mark Suffolk.« Seine Blicke bohrten sich in Tortosas Gesicht. »Sagt dir der Name etwas?«
»Suffolk?« Tortosa holte tief Atem. »Nein!« sagte er dann. »Nein. Er ist für mich ohne Bedeutung. Ein Name wie tausend andere hier. – Ich danke dir, Mark.«
Es schien, als sei das Thema damit beendet. Suffolk-Pérez schulterte sein Gewehr und nahm dem toten Rafael den Köcher mit den Indianerpfeilen ab. »Ich wette … alle vergiftet. Du hättest keine Überlebenschance gehabt, selbst bei einem Streifschuß nicht. Diese Dschungelgifte sind absolut tödlich. Ein Ritz nur in der Haut – aus! Gehen wir.«
»Ja, gehen wir.« Tortosa wandte sich ab. Er kam sich elend vor und spürte Pérez' Blicke wie glühende Punkte auf seiner Haut. Immer und immer wieder quoll in ihm die Frage auf: Kann ich jemanden töten, der mir das Leben gerettet hat? Und diese Fragte würgte ihn und nahm ihm den Atem. Wann wird ein Befehl sinnlos?
Wann wird ein Befehl zur Gewissenlosigkeit?
Wann darf man sagen: Nein, diesen Befehl befolge ich nicht?!
Wann ist Befehlsverweigerung eine moralische Notwendigkeit?
Wieweit kann ein Gewissen belastet werden?
Wo steht man an der Grenze seiner Ehre?
»Du bist plötzlich so still, David«, sagte Pérez. Sie hatten den Dschungelsaum erreicht und blickten zu den Plantagen hinüber. Avilas Patrouillen umkreisten sie. Auf den neuen Wachtürmen standen die Soldaten hinter den Maschinengewehren und tragbaren Raketenwerfern. »Kommt jetzt der Schock, daß du noch lebst?«
»So ähnlich … ich ringe mit meiner Wiedergeburt … nein, mit einer Neugeburt.« Tortosa legte beim Gehen den Arm um Pérez' Schulter. »Es ist verdammt schwer, sich in ein neues Wesen hineinzuleben.«
»Aber du bleibst immer noch du.«
»Das weiß ich nicht. Darum kämpfe ich noch mit mir selbst …«
Sie erreichten den Platz, auf dem Suffolk-Pérez einen Jeep abgestellt hatte. Es war eine Auszeichnung von Belisa García, denn in Diwata gab es noch keine Privatautos; alles war Eigentum der Mine und wurde von Avila kontrolliert. Pérez durfte den Jeep benutzen, um schnell zu den Baustellen zu kommen.
»Was wolltest du um diese frühe Zeit im Dschungel?« fragte Tortosa, als sie in das Fahrzeug kletterten.
Suffolk blickte hinüber auf den Rand der Grünen Hölle. Sie war wie eine riesige grüne Wand, die undurchdringlich schien. Baumriesen, die an den Himmel stießen, verfilztes Unterholz, umschlungen von Lianen und überwuchert von Riesenfarnen.
»Ich bin ab und zu hier und träume …« antwortete er.
»Träumen? Wovon?«
»Von den vergangenen tausend Jahren …«
»Du trauerst ihnen nach?«
»Immer weniger. Ich gewöhne mich an das neue Leben. Allmählich finde ich es sogar schön. Aber das dauert seine Zeit.«
»Du hast … da draußen … eine Frau …« Tortosa wußte es genau. Er kannte Suffolks Lebenslauf wie den seinen.
»Ich hatte sie. Sie hat sich scheiden lassen.«
»Aber du liebst sie noch?«
»Sie war eine schöne Frau. Aber – vor tausend Jahren – war es die falsche Frau. Der Fehler lag bei mir; ich hätte nie heiraten
Weitere Kostenlose Bücher