Dschungel-Gold
will ich als Priester nicht gehört haben«, sagte er langsam. »Aber oft ist es eine Gnade, wenn ein wenig nachgeholfen wird …«
Tortosa hatte sich vorgenommen, am frühen Morgen in den Dschungel zu gehen. Auch wenn er das alles als Unsinn betrachtete, tat er es doch den Schamanen nach und sammelte die Kräuter entweder bei Mondschein oder im Morgengrauen, wenn die Pflanzen noch vom Tau benetzt waren. Die eingeborenen Zauberer nannten den Tau den Speichel der Götter, den diese verlieren, wenn sie die Natur küssen. Wer daran glaubt, hilft mit, an die Wirksamkeit der Kräuter zu glauben.
So wanderte also Tortosa durch den Urwald, einen großen Korb auf den Rücken geschnallt, und rupfte Gräser, Blüten, Zweige und Samenknollen aus dem Boden, hackte Wurzeln daraus, schnitt Kletterpflanzen von den Baumstämmen und betete im stillen darum, daß keine giftige Pflanze darunter war. Die auffälligsten und schönsten Blüten ließ er in Ruhe, sie konnten gefährlich sein. Er wußte, der giftigste Frosch im Dschungel war ein herrlich gelb und rot gemustertes Tier, eine wahre Schönheit und der sichere Tod! So ähnlich konnte es auch bei den Blumen sein. Also: Finger weg davon! Er bückte sich gerade, um eine hellbraune knotige Wurzel abzuschneiden, als nahe bei ihm ein Schuß ertönte.
Tortosa reagierte so, wie er ausgebildet war: Mit einem Satz warf er sich hin, lag ganz flach auf dem schwammigen Dschungelboden und war innerhalb der üppigen Pflanzen nicht zu sehen. Gleichzeitig zog er seine Pistole und lud durch. Sein Gehör schärfte sich in Sekunden um ein Vielfaches … die Nahkampfausbildung beherrschte seinen Körper.
Er blieb in der Deckung liegen, als seitlich von ihm jemand rief:
»Komm raus, Kumpel. Es ist vorbei. Da wollte dich einer auf Indianerart abknipsen.«
Tortosa blieb liegen. In solchen Situationen sind Worte wenig wert. Er wartete auf andere Zeichen.
»Ich stehe vier Meter links von dir«, rief die Stimme. »Ich weiß, Vertrauen kann tödlich sein. Aber wenn ich dich töten wollte, hätte ich dich erschossen und nicht den anderen.«
Das war ein Argument, wenn auch ein lahmes. Tortosa wagte es: Er schnellte aus der Deckung und rollte sich sofort wieder ab.
Nichts. Kein Schuß. Nur die Stimme:
»Bravo. Das hast du gut gemacht, Junge.«
Tortosa erhob sich. Er sah einen Mann im hohen Gras stehen und richtete die Pistole auf ihn. Es war ein gefährlicher Augenblick, denn der andere konnte natürlich schneller sein. Aber der Mann hob beide Arme hoch in die Luft und ließ sie dann wieder fallen.
»Mein Gewehr liegt zu meinen Füßen. Wirf mal 'nen Blick hinter dich. Da liegt einer, der gerade einen Bogen spannte, um dich mit 'nem Pfeil lautlos wegzupusten. Zufällig war ich hier.«
»Ich verdanke dir also mein Leben?« sagte Tortosa heiser. Er begriff jetzt, daß er eigentlich schon fast tot gewesen war. »Danke …«
Sie gingen aufeinander zu, reichten sich die Hand, umarmten sich dann wie Brüder und gingen hinüber zu dem Toten. Es stimmte – neben dem Erschossenen lag ein Bogen, an den Gürtel hatte er einen Köcher mit Pfeilen geschnallt. Er schien, der Hautfarbe nach, ein Eingeborener zu sein … aber es war Rafael, der Goldgräber und Terrorist, der Rächer seines Bruders, der als Einzelkämpfer durch den Dschungel gezogen war.
»Kennst Du ihn?« fragte der Schütze.
»Nein.«
»Aber ich kenne dich.« Der Mann grinste breit. »Wer kennt dich nicht in Diwata. Deine gebleichten Haare. Du bist der Wunderheiler. Stimmt's?«
»Das war leicht zu erraten.« Tortosa griff in die Tasche und holte eine Packung Zigaretten hervor. »Und wer bist du?«
»Antonio Pérez.«
»O Gott!« Tortosa lachte laut auf. »Der Verrückte! Noch gestern haben wir von dir gesprochen. Beim Doktor. Er hat mir erzählt, was du alles planst. Ein kleines Weltwunder im Urwald.«
Er reichte Pérez die Zigaretten hin. Pérez nahm eine und hielt sie schnuppernd unter die Nase. »Amerikanische? Wie kommst du denn da ran?«
Tortosa wich aus. »Beziehungen«, sagte er. »Du kennst amerikanische Zigaretten?«
»Hab sie mal geraucht. Bevor ich nach Diwata kam. Aber das ist tausend Jahre her.«
»Und warum bis du jetzt in Diwata?«
»Fragt man danach? Frage ich dich, woher du aufgetaucht bist? Wir leben hier, basta! Hast Du eine Vergangenheit, hab ich eine Vergangenheit? Wen interessiert das? Du bist hier ein Wunderheiler, weil die armen Schweine hier etwas Besonderes haben müssen, woran sie glauben können, außer
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