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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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besuchte den Vortrag eines Freundes von Albert Schweitzer, dem berühmten Arzt und Missionar, und hörte von dessen Arbeit in Afrika. Während des Vortrags wusste meine Mutter auf einmal, dass dies auch ihr Lebensziel sein würde: in die Missions- und Entwicklungshilfe zu gehen. Sie bereitete sich darauf vor, indem sie später eine Ausbildung zur Krankenschwester machte.
    Sechzehn Jahre nach diesem Vortrag traf sie meinen Vater, Klaus-Peter Kuegler, der zu dieser Zeit bei der Lufthansa tätig war. Er hatte dasselbe Ziel wie sie, Entwicklungshelfer zu werden. Nachdem er bei der Lufthansa gekündigt hatte, heirateten meine Eltern und machten gemeinsam eine linguistische Ausbildung. Nach der Geburt meiner Schwester Judith begann ihre Arbeit als Sprachforscher und Missionare.
     
    Ihre erste Station war Nepal. Sie lebten dort bei einem kleinen Volk, das sich die Danuwar Rai nannte, um dort dessen Sprache und die einzelnen Dialekte zu studieren und den Bewohnern des Dorfes mit tatkräftiger Entwicklungshilfe beizustehen.
    Ich wurde 1972 in Patan geboren, einem Vorort von Katmandu, wo auch mein kleiner Bruder Christian zwei Jahre später zur Welt kam. Kurz nach meiner Geburt kehrten wir zurück zu den Danuwar Rai.
    Sabine mit Freundinnen vom Stamm der Danuwar Rai
    Wir lebten in einem kleinen gelben Lehmhaus am Rande des Dorfes – sogar der Boden des Hauses bestand aus festgetretenem Lehm. Es hatte nur sehr kleine Fenster, und so schliefen wir meistens auf einem kleinen Holzbalkon, um der Hitze, die sich im Haus aufstaute, zu entgehen. Das Klima war subtropisch, die Landschaft ein Gemisch aus grünen Wäldern und trockenen, steinigen Ebenen. Ganz in der Nähe des Dorfes gab es einen breiten Fluss, in dem wir abends badeten.
    In unserem kleinen Haus hatten wir keine Dusche und auch keine Möbel. Wir aßen auf dem Boden, auf einer Strohmatte, schliefen auf Luftmatratzen und kochten auf einem kleinen Kerosinofen. Ich verbrachte die meiste Zeit mit meiner älteren Schwester Judith, die Ziegen hütete, wie es im Dorf üblich war für Mädchen ihres Alters. Spielzeug hatten wir nicht, also spielten wir und die anderen Kinder mit dem, was die Natur hergab.
    Ich habe nicht sehr viele Erinnerungen an diese Zeit. Ich kann mich aber noch daran erinnern, wie ich nachts mit meiner Schwester auf einer Luftmatratze lag, eingehüllt in eine Decke, die wir uns teilten. Ich schaute nach oben und sah den Abendhimmel mit seinen unzähligen Lichtern. Sie strahlten und blitzten in unbeschreiblicher Schönheit auf uns herab. So nah schienen sie mir, dass ich manchmal die Hand ausstreckte in der Gewissheit, dass ich sie berühren könnte. Ich ließ meine Hand über die Sterne gleiten und sie zwischen meinen Fingern blinzeln. So schliefen wir ein, in vollkommener Zufriedenheit, inmitten einer unberührten Natur.
    Meine Mutter erzählte mir vor kurzem folgende Geschichte aus Nepal:
    Eines Spätnachmittags kam ich ganz aufgeregt zu ihr gerannt und rief völlig außer Atem: »Mama, Mama, ich habe Gott gesehen!«
    Mama war erstaunt; dem wollte sie auf den Grund gehen.
    Ich nahm sie bei der Hand, zerrte sie hinter mir her auf unseren Balkon und deutete auf die Berge, die sich in nicht allzu weiter Ferne majestätisch erhoben. Mama lächelte; sie verstand jetzt, was ich meinte. Uns bot sich ein unglaublicher Anblick. Die Sonne ging gerade unter, ihre Strahlen spiegelten sich in den schneebedeckten Gipfeln und ließen sie wie eine Landschaft aus Gold erscheinen. Es war eines der schönsten Naturschauspiele, die meine Mutter jemals gesehen hatte. Zusammen standen wir dort und bewunderten die Pracht. Als die letzten Strahlen versunken waren, sagte ich ganz enttäuscht: »Jetzt ist Gott weg.«
     
    Es vergingen schöne Jahre, bis uns eines Tages die Nachricht erreichte, dass wir nicht länger bleiben durften. Aus nicht weiter erklärten politischen Gründen mussten wir innerhalb der kommenden drei Monate das Land verlassen. Für meine Eltern war es ein Schock, denn sie hatten sich mental auf einen langen Aufenthalt eingerichtet. Und jetzt sollte es plötzlich zurückgehen in eine Heimat, die sie vor Jahren bewusst zurückgelassen hatten, eine Heimat, die wir Kinder noch nie gesehen hatten?
    Schweren Herzens packten sie uns und unsere Sachen, und wir verabschiedeten uns traurig von den Danuwar Rai, die ein Teil unserer Familie geworden waren. Mama erzählte mir später, sie habe innerhalb einer Woche vor lauter Trauer graue Haare bekommen.
    Unsere lange

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