Dschungelkind /
Reise zurück nach Deutschland führte uns über die Hauptstadt Katmandu, diese große, bunte Stadt voller Häuser, Autos und Menschen. Schon damals schien ich zu wissen, dass dies nicht meine Welt war: Ich weinte, wollte zurück zu unserer Lehmhütte, zu meinen Freunden, zu den Ziegen und den Sternen. Ich verstand nicht, warum wir nicht einfach zurückgehen konnten. Ich war drei Jahre alt.
Dann ging es weiter nach Deutschland, hinein in eine Kultur, mit der wir Kinder noch überhaupt nichts verbanden. Mama erzählte mir, dass ich auf dem Frankfurter Flughafen verwirrt gefragt habe: »Und wo ist Deutschland?«
»Aber, Sabine«, antwortete Mama, »wir
sind
in Deutschland!«
Meine Enttäuschung war so groß, dass ich schon wieder in Tränen ausbrach: Wir hatten nämlich manchmal Päckchen von Deutschland erhalten, und ich freute mich so sehr darauf, diese Person Deutschland, die uns all die schönen Sachen schickte, endlich kennen zu lernen … Meine Eltern hatten mir nie erklärt, wer, oder besser: was Deutschland eigentlich ist.
Während unseres Aufenthaltes in der fremden Heimat bereiteten sich meine Eltern auf eine neue Aufgabe vor. Sie hatten sich nach langer Überlegung Indonesien als nächstes Ziel ausgesucht und warteten auf ihr Einreisevisum. Und zwei Jahre später war es so weit: Anstatt zum höchsten Platz der Welt ging es diesmal zum tiefsten Punkt der Erde, vom Himalaja ins Sumpfgebiet von Irian Jaya, Indonesien, das heute bekannt ist als West-Papua.
West-Papua (Irian Jaya), Indonesien
A m 23. April 1978 verließen wir Deutschland und landeten einige Tage danach auf dem Flughafen von Jayapura, der Hauptstadt West-Papuas. Nach kurzer Eingewöhnungszeit würde es später weitergehen auf die Dschungelbasis Danau Bira, wo wir uns mit dem zukünftigen Leben bei den Stämmen des Urwalds vertraut machen sollten.
Ich kam kurz nach unserer Ankunft in Jayapura in den Kindergarten und musste eine kleine weißblaue Uniform tragen. Wir Kinder hatten eigentlich keine Probleme, Anschluss zu finden, obwohl in den siebziger Jahren nur sehr wenige Ausländer in Irian Jaya lebten. Wir gewöhnten uns schnell ein und begannen schon nach kurzer Zeit, uns wie kleine Indonesier zu benehmen. Wir konnten nach wenigen Wochen besser indonesisch sprechen als unsere Eltern, die jeden Tag Unterricht bekamen.
Auch das Essen mundete uns: Während der Pausen kam oft ein Mann mit einem kleinen zweirädrigen Wagen an den Zaun des Kindergartens und verkaufte selbst gemachte Snacks. Am liebsten mochte ich die kleinen gebratenen Chips aus Süßkartoffeln, die sehr scharf gewürzt waren. Mama wunderte sich, dass ich mein Pausenbrot regelmäßig wieder mit nach Hause brachte. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an diese Chips denke.
Die Landschaft, die wir bei unseren Ausflügen in die Umgebung entdeckten, war unbeschreiblich schön, die hellgrünen Hügel, die sich wie große Wellen über dem Land ausbreiteten, der blau schimmernde See, der sich bis an den Horizont erstreckte, die bunt gekleideten Menschen, die wir auf der Fahrt überholten. So tauchte ich ein in eine Atmosphäre voller Sinnlichkeit und Leben, ein berauschendes Gefühl, das ich heute noch mit Asien verbinde. Wir Kinder sogen das neue Leben mit selbstverständlicher Entdeckerfreude auf, ohne Vergleiche ziehen zu müssen, ohne uns zu fragen, wo wir eigentlich waren.
Aber wo waren wir tatsächlich – in welchem abgelegenen Winkel der Erde waren wir gelandet?
Exkurs: Bericht über die Insel West-Papua
Auf eine lange und unruhige Geschichte kann das Land, von dem hier berichtet wird, zurückblicken. Früher auch bekannt unter den Namen West-Irian, Irian Barat, West-Neuguinea und Irian Jaya, heißt es heute West-Papua und nimmt die Westhälfte der Insel Neuguinea ein – nach Grönland die zweitgrößte Insel der Welt. Im Osten wird West-Papua begrenzt durch den Staat Papua-Neuguinea (seit 1975 unabhängig), im Süden liegt die Meergrenze zu Australien. Irian Jaya bzw. West-Papua ist mittlerweile eine etwa 400 000 km² große Provinz Indonesiens und gleichzeitig dessen östlichster Ausläufer.
Es ist nicht übertrieben, wenn man West-Papua als eine Welt für sich betrachtet, wo sich ein Superlativ an den anderen reiht. Das höchste Gebirge östlich des Himalaja und westlich der Anden durchzieht mit seinem herausragenden Gipfel Puncak Jaya (5029 m), dem Gunung Jayakusema bzw. Carstensz Pyramid (einem Gletscher von stolzen 5022 Meter
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