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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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eine Nachricht mit dem Dschungeltelefon, so wusste auch der ganze Dschungel davon.
    Nakire mit seiner Frau Fusai
    Es funktionierte so: Nakire stellte sich am Ufer des Flusses auf und rief mit eigenartiger Stimme, die mehr einem Geheul glich: »Wo ist Fusai, Nakire sucht Fusai!« Später wurde mir klar, dass die Stimme durch den Heulton viel weiter trägt, als wenn man nur ruft oder schreit.
    Nakire wiederholte diese Sätze ein paar Mal. Nach einigen Minuten ertönte plötzlich eine zweite Stimme weiter flussaufwärts: »Wo ist Fusai, Nakire sucht Fusai«, so kam es von dort. Wiederum wurde der Satz wiederholt, bis jemand in noch größerer Entfernung sich meldete und die Nachricht weiterleitete, und so fort – bis die Kunde den Häuptling vom Stamm der Tigre erreichte.
    »Fusai ist bei ihrer Familie«, so schallte die Antwort zurück, auf dem gleichen Weg, den die Frage zuvor genommen hatte.
    Sofort fuhr Papa mit Nakire zu den Tigre.
    Nakire war aufgeregt und betrübt, als sie ankamen, und fragte Fusai, warum sie denn weggelaufen sei. Sie erklärte ihm, dass sie Heimweh gehabt habe. Nakire nahm sie mit zurück nach Foida.
    Doch ein paar Wochen später rannte Fusai wieder weg, und Nakire musste sie ein zweites Mal zurückbringen.
    Nach dem dritten Mal kam er verzweifelt zu Papa und fragte, was er denn tun solle. Das war erstaunlich; normalerweise hätte ein Fayu-Mann in einem solchen Fall mit einem Pfeil auf seine Frau geschossen. Doch Nakire war nicht so, er liebte Fusai und wollte ihr nicht wehtun. Papa hörte ihm zu, doch auf die Lösung kam Nakire selbst: Am nächsten Tag erzählte er Papa, dass er mit Fusai bei ihrem Stamm leben wolle, bis sie sich an ihn gewöhnt hatte und freiwillig zurück nach Foida käme.
    Und so geschah es: Nach einigen Monaten, in denen die beiden zusammen mit Fusais Familie im Tigre-Gebiet gelebt hatten, kam Fusai zurück nach Foida und rannte nie wieder weg. Sie war ein schüchternes Mädchen und hatte ein Herz aus Gold. Ihr Lächeln war einfach himmlisch – wir haben sie alle lieb gewonnen. Sie wurde Judiths beste Freundin, da die beiden ungefähr im selben Alter waren.
    Nakire hat sich niemals eine zweite Frau genommen, obwohl er das »Recht« dazu gehabt hätte, denn Fusai bekam keine Kinder. Doch Nakire wollte nur sie und keine andere. Ihre Liebe zueinander war die erste und einzige, die wir bei den Fayu miterleben durften. Die beiden haben eine wunderbare Ehe, die bis heute lebendig ist.
     
    Längst nicht alle Fayu-Männer behandelten ihre Frauen so gut. Ich habe zweimal miterlebt, wie ein Fayu seine Frau mit einem Pfeil verletzte, und bei einer dieser Gelegenheiten entwickelte ich zum ersten Mal im Leben regelrechten Hass auf jemanden.
    Es passierte, während ich draußen spielte. Ein paar Frauen waren aus irgendeinem Grund tiefer in den Urwald gegangen. Einer der Männer rief seiner Frau zu, sie solle zurück zu ihm kommen, doch sie kam nicht sofort. Als sie dann schließlich aus dem dichten Gehölz trat, nahm der Fayu-Krieger seinen Bogen, spannte einen Pfeil, und obwohl die Distanz noch enorm war, zielte er direkt auf ihre Brust.
    Die Fayu sind hervorragende Schützen. Er wusste genau, wie stark er den Bogen spannen musste, um sie nicht zu töten, sondern nur zu verletzen. Vor unseren Augen schoss er seine Frau nieder. Sie brach stöhnend auf dem Boden zusammen. Mir war in diesem Moment hundeelend, ich wollte schreien, wollte wegrennen, wollte diesen Mann umbringen. Denn, wie jeder sehen konnte, war die Frau hochschwanger!
    Mama hörte die Schreie und kam zu uns gelaufen. Als sie die Szene vor sich sah, rastete sie aus. Ich habe sie niemals wieder so brüllen hören wie an diesem Tag … Sie lief hinüber zu der verletzten Frau, zog den Pfeil heraus und half ihr ins Haus. Ich ging hinter Mama her und warf noch einen letzten hasserfüllten Blick hinter mich, wo der Ehemann stand und lachte.
    Auch Papa hat sich sehr darüber aufgeregt. Als er die Fayu damit konfrontierte, haben sie ihn jedoch ebenfalls nur ausgelacht.
    Heute ist das anders. Langsam, über die Jahre hinweg, haben die Fayu-Männer durch die Begegnung mit meiner Mutter gelernt, ihre Frauen zu achten. Denn sie haben in dieser langen Zeit miterlebt, wie meine Eltern einander respektierten und liebten. Es war für sie etwas komplett Neues, dass ein Mann und eine Frau zusammenarbeiteten und dabei glücklich waren und lachen konnten. So etwas gab es bei ihnen nicht. Bei meinen Eltern konnten sie sehen, wie wichtig

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