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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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die Liebe war und dass ein Streit nicht gleich mit dem Tod oder einem Pfeil enden musste.
    Mir ist erst Jahre später richtig bewusst geworden, wie sehr sie uns beobachteten. Sie sahen, dass wir auch nur Menschen waren wie sie und dass wir Fehler machten. Sie erlebten so manchen Streit in unserer Familie mit, doch sie sahen auch, wie wir uns entschuldigten und danach wieder miteinander lachen und spielen konnten.
    Wir haben den Fayu nie gesagt, was sie tun oder lassen sollten und welches Verhalten uns richtig erschien. Denn unsere Eltern hatten uns beigebracht, dass das beste Zeugnis unser eigenes Leben und unser Verhalten war, und nicht Worte, die aus unserem Mund kamen. Man muss das vorleben, woran man selbst glaubt. Die Fayu sollten für sich selbst entscheiden, ob sie sich ändern wollten, Entscheidungen treffen, von denen sie selbst überzeugt waren, nicht solche, die ihnen ein Fremder aufgezwungen hatte. Es sollte eine Entscheidung sein, die von Herzen kam.

Bootsfahrten
    E s ist Ihnen sicherlich auch schon passiert: Die Waschmaschine geht kaputt, der Toaster gibt den Geist auf, eine Sicherung brennt durch. Man ärgert sich natürlich, doch dann steigt man ins Auto, fährt zum nächsten Supermarkt und kauft ein neues Gerät. Und wenn man Glück hat, ist die Garantie noch nicht abgelaufen, und man bekommt es ersetzt.
    Im Dschungel ist das anders. Wenn etwas kaputtging, dann mussten wir manchmal Monate auf Ersatz warten. So wie damals, als der Hubschrauber streikte: Die Ersatzteile mussten in den USA angefordert werden, was eine kleine Ewigkeit dauerte. Die Post war damals nicht sehr zuverlässig. Und unsere Einkaufsfahrten in die Dschungelbasis Danau Bira wurden plötzlich sehr beschwerlich.
    Es gab für uns jetzt nur noch einen möglichen Weg, von Danau Bira zurück zu den Fayu zu gelangen: Wir flogen zuerst mit einem kleinen Motorflugzeug zum Dorf Kordesi. Danach ging es auf dem Wasserweg weiter – in einem Kanu mit Außenbordmotor konnte man nach zirka vier bis sechs Stunden Fahrt stromaufwärts das Fayu-Gebiet erreichen.
    Es war eine Reise, die sowohl sehr aufregend wie auch extrem langweilig sein konnte. Wir saßen in diesem langen Holzkanu, das Gepäck zwischen uns verstaut, und durften uns nicht viel bewegen, weil das Kanu leicht kippen konnte. Die Sonne prallte auf uns herunter, doch der Fahrtwind kühlte immerhin ein wenig. Wir mussten lange Hemden und Hosen tragen, um Sonnenbrand zu vermeiden. Stundenlang bestaunte ich den grünen Urwald, der an uns vorbeirauschte. Manchmal sah ich ein paar Vögel, die über uns hinwegflogen, oder die wunderschönen, knallig roten Orchideen, die als »Flamme des Urwalds« bekannt sind. Sie wuchsen wie Lianen an und auf den Bäumen, und ihre Blütenpracht durchbrach das unendliche Grün.
    Alle paar Stunden legten wir entweder an einer Sandbank oder am Ufer an, um uns die Beine ein wenig zu vertreten und etwas zu essen.
    Die ersten paar Male verlief die Bootsfahrt ohne Zwischenfälle. Auf unserer vierten oder fünften Fahrt zu den Fayu hatten wir jedoch weniger Glück.
    Als wir aus Kordesi abfuhren, schien die Sonne von einem klaren blauen Himmel auf uns herab. Wie immer waren Nahrungsmittel und sonstige Gegenstände, die wir zum Leben brauchten, zwischen uns im Boot verstaut. Mama saß ganz vorn, hinter ihr Judith, dann Christian und ich. Papa lenkte das Kanu hinten mit einem 12- PS -Motor. Ein zweiter, kleinerer Motor lag zu seinen Füßen, für den Fall, dass der große während der Fahrt ausfiel.
    Ich hatte es mir auf einem Kissen bequem gemacht, denn direkt auf dem Holz zu sitzen konnte nach einigen Stunden sehr ungemütlich werden. Ein paar Fliegen kreisten um meinen Kopf, die ich träge verscheuchte. Nach einer Weile machten mich das ständige Dröhnen des Motors und die Hitze müde. Ich legte mich zurück, zog mir einen Reissack als Kopfkissen heran und schlief ein.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schlief – doch als ich plötzlich hochschreckte, hatte sich etwas verändert. Die Luft war anders, schärfer und kühler. Ich schaute nach oben in den Himmel: Tiefblau streckte er sich über mir aus. Als ich mich aber umdrehte, bemerkte ich, wie sich hinter uns, ganz in der Ferne, schwarze, bedrohliche Wolken auftürmten. Auch Papa sah sich immer wieder um, schaute besorgt und drehte den Motor auf, so weit es ging. Die anderen hatten den kommenden Sturm ebenfalls bemerkt und saßen ganz still, in der Hoffnung, sie könnten das Kanu dadurch irgendwie

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