Dschungelkind /
erreichten. Und sie hatten Erfahrung mit diesen Stürmen. Trotz heftigsten Regens warteten sie am Ufer, um uns abzufangen. Was für eine Erleichterung! Ohne sie hätten wir das Dorf glatt verfehlt.
Kaum waren wir am Ufer, sprangen die Fayu ins Wasser, nahmen uns das Boot ab und befestigten es. Es liefen immer mehr Männer herbei.
Ich wurde von einem der Krieger hochgehoben und in unser Haus getragen. Meine Beine zitterten, ich konnte meine Arme nicht mehr bewegen, meine Kräfte hatten mich komplett verlassen. Ich sank einfach zu Boden, als der Fayu mich auf der Veranda absetzte und wieder zurücklief, um den anderen zu helfen. In kürzester Zeit war das Boot ausgeladen, und wir befanden uns in unserem trockenen Haus, frierend, aber glücklich. Die gesamte Ladung war durchnässt, unsere Kleidung, unsere Schulbücher, nichts war verschont geblieben bis auf Papas Kamera, die er sicherheitshalber in Plastik eingewickelt hatte.
Mama zog uns aus, wickelte uns in trockene Decken, kochte heißen Tee und gab uns eine Büchse mit Keksen. Ich schaute aus dem Fenster und fühlte mich für einen Moment, als ob ich die Welt erobert hätte. Gemeinsam hatten wir die Natur besiegt, hatten den Wettkampf gegen den Sturm gewonnen. Es regnete und donnerte noch die ganze Nacht. Ich kuschelte mich unter meine Decke, das Moskitonetz umhüllte mein Bett. Nach wenigen Minuten schlief ich fest ein, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Später bekam Papa ein richtiges Metallboot, das unter dem Helikopter hängend nach Foida transportiert wurde. Eine aufregende Reise, denn hätte das Boot zu sehr geschaukelt, so hätte der Pilot es über dem Dschungel abwerfen müssen. Doch alles ging gut, und wir hatten fortan ein äußerst komfortables, stabiles Transportmittel.
Andere Bootsfahrten verliefen weniger dramatisch, dafür lustig und interessant. Der Sonntag zum Beispiel war für uns immer ein spannender Tag, denn am Nachmittag machten wir einen Familienausflug und besuchten andere Fayu-Stämme, die weiter flussaufwärts wohnten. Immer luden wir auch einige Iyarike auf unsere Fahrten ein, um die Beziehungen zwischen den Stämmen zu verbessern. Die Fahrt dauerte manchmal mehrere Stunden, und so vergnügten wir uns mit lauten Gesängen. Unser Favorit, an den ich mich heute noch erinnere, war das berühmte Lied von der Kokosnuss: »Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt, die ganze Affenbande brüllt« – und dann alle zusammen, so laut wir nur konnten: »Wo ist die Kokosnuss, wo ist die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss geklaut?« Sicher gab und gibt es nur wenige Kinder, die dieses Urwaldlied tatsächlich im Urwald singen!
Nach einigen Malen versuchten die Fayu, die uns begleiteten, diese Strophe auch mitzusingen. Ich glaube, wenn jemand uns gehört hätte, er hätte uns alle für durchgeknallt erklärt. Wir aber hatten ungeheuren Spaß miteinander.
Einmal wollten wir ganz weit hinauf, zum Stamm der Sefoidi. Es war ein heißer Tag, die hohe Temperatur und die Luftfeuchtigkeit machten uns mal wieder zu schaffen. Nach ein paar Stunden rasteten wir in einem kleinen Nebenarm, um uns ein wenig im Fluss abzukühlen.
Papa, Mama, Christian, Judith und ich sprangen ins Wasser. Es war ein genialer Platz, denn in der Mitte dieses Flüsschens hatten sich viele große Baumstämme gestaut. Papa befestigte das Boot an einem Ast, der nach oben ragte, und wir kletterten auf den Stämmen herum, sprangen ins Wasser und genossen die herrliche Frische. Judith nutzte die Gelegenheit, um sich die Haare zu waschen. Sie saß auf einem Stamm, hatte ihren langen blonden Schopf über den Kopf geschwungen und schäumte fleißig.
Papa sah nach einer Weile auf dem Boot nach dem Rechten, denn keiner der Fayu war ausgestiegen. Sie beobachteten unser Treiben mit großem Interesse. Papa hielt sich am Bootsrand fest und forderte die Männer auf, doch auch ins Wasser zu kommen – bei dieser Hitze!
Nakire aber schüttelte den Kopf und meinte, in diesem Fluss würden sie nicht schwimmen.
Papa wunderte sich. Ob es vielleicht ein heiliger Fluss sei?
»Oh nein«, antwortete Nakire, »das hier ist der Krokodilfluss, unser Jagdgebiet, wo wir immer die Krokodile fangen, die wir euch bringen!«
Papa machte große Augen. Ich habe noch nie jemanden so schnell aus dem Wasser in ein Boot springen sehen.
Beim Baden im Krokodilfluss – bevor wir erfuhren, dass es ein Krokodilfluss war …
»Raus, raus«, schrie er uns im selben Moment zu,
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