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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Kinder von den sechsen die Chance, erwachsen zu werden.
    Aufgrund dieser Tatsache hatte sich ein weiser Brauch entwickelt: Die Fayu gaben ihren Kindern erst dann einen Namen, wenn die Zähne kamen.
    Und als Biyas Tochter nun ihren ersten Zahn bekam, da wurde uns stolz erzählt, dass sie Doriso
Bosa
heißen sollte – das bedeutet »kleine Doris«. Eine große Ehre für Mama! Eine andere Familie hatte bereits einen Klausu Bosa.
    Vor ein paar Jahren haben Doriso Bosa und Tuare geheiratet. Inzwischen haben sie drei gesunde Kinder.

Nakire, die Frauen und die Liebe
    A ls kleiner Junge wurde Nakire während eines Krieges zwischen dem Dou-Stamm und dem Fayu-Stamm zusammen mit seiner Mutter entführt. Die Mutter wurde als zweite Frau an einen Dou-Krieger gegeben, und obwohl Nakire seine ganze Kindheit bei den Dou verbrachte, wurde er wie ein Außenseiter behandelt. Ich glaube, dass er es nicht einfach hatte bei diesem Stamm.
    Als er im heiratsfähigen Alter war und sich eine Dou als Frau nehmen wollte, sagte ihm der Häuptling: »Geh zurück zu deinem Volk und hol dir dort eine Frau. Du gehörst nicht zu uns, bist nur ein Iyarike. Geh fort von uns.«
    So nahm Nakire seine wenigen persönlichen Sachen, verabschiedete sich von seiner Mutter und verschwand im Urwald.
    Es war kurz nach der zweiten Expedition von Papa, als der Häuptling vom Stamm der Tearü Nakire zu sich rief. Er machte ihm ein Angebot: »Wenn du mithilfst, einen Iyarike zu töten, um meinen Sohn zu rächen, werde ich dir meine Tochter zur Frau geben.«
    Doch zum Erstaunen aller Anwesenden lehnte Nakire ab. Er sagte zum Häuptling, dass er nicht mehr töten wolle, sondern nach der guten Botschaft des weißen Mannes handeln. Denn Nakire hatte bei den Dou, die nicht mehr so viele Kriege führten, die Erfahrung gemacht, wie es ist, in einer friedlichen Umgebung zu leben. In den Jahren, die er dort verbrachte, wuchs in ihm der Wunsch, ein Friedensbringer für seinen Stamm zu werden und miterleben zu dürfen, wie auch die Fayu den Frieden fanden.
    Der Tearü-Häuptling verstand die Welt nicht mehr. Noch nie hatte jemand solch ein Angebot ausgeschlagen, denn die Tochter eines Häuptlings zu ehelichen bedeutete viel in der Fayu-Kultur.
     
    Über die Jahre wurde Nakire zu Papas engstem Vertrauten und beriet ihn in Sachen Sprache und Kultur. Wenn Papa nicht wusste, wie er in bestimmten Situationen reagieren sollte, fragte er Nakire. Von ihm lernte er auch die Grundlagen der Fayu-Sprache.
    Vor kurzem erzählte mir Papa, wie er einmal mit Nakire in seiner Arbeitshütte saß und fleißig Notizen machte. Er zeigte auf verschiedene Dinge, Nakire sagte ihm das Wort in der Fayu-Sprache, und Papa schrieb es in Lautschrift nieder. Nakire hatte vor unserer Ankunft noch nie Papier und Bleistift gesehen.
    Papa hatte gerade ein paar neue Wörter aufgeschrieben und schaute sich zu Nakire um, der sehr still geworden war. Er konnte kaum glauben, was er sah: Nakire lag auf der Holzbank, die Füße an den Tisch gestützt, und schlief.
    »Nakire, was machst du? Du sollst mir helfen, und stattdessen schläfst du!«, rief Papa vorwurfsvoll.
    Nakire raffte sich auf, gähnte und sagte: »Klausu, ich will dir gern helfen. Aber wann gehst du endlich mal arbeiten? Du spielst ja nur herum!«
    »Was? Ich spiele?«, lachte Papa. »Was soll ich denn arbeiten, wenn das, was ich hier mache, keine Arbeit ist?«
    »Na ja«, antwortete ihm Nakire, »du könntest mal jagen gehen, um Essen für deine Familie zu besorgen, oder ein neues Boot bauen.«
    Papa war sehr amüsiert bei der Vorstellung, wie er durch den Dschungel lief und versuchte, etwas mit dem Pfeil zu treffen. Er ließ Nakire erst einmal weiterschlafen und dachte nach, wie er Nakire seine Art von Arbeit verständlich machen könnte.
    Dann hatte er es. Er schrieb eine Nachricht an Mama auf ein Stück Papier und sagte zu Nakire: »Bitte geh zu Doriso und gib ihr diesen Zettel. Du wirst sehen, sie wird mir dann etwas zu trinken bringen.«
    »Wie ist so etwas möglich? Woher soll sie wissen, was du willst, wenn ich es ihr nicht sage?«, fragte Nakire ganz erstaunt.
    Papa antwortete: »Das Geheimnis liegt in diesem Zettel.«
    Gespannt machte sich Nakire auf zu unserem Haus. Mama las die Botschaft, und vor Nakires Augen tat sie genau das, was Papa vorher prophezeit hatte.
    Nakire war fasziniert! Er ging sofort zurück zu meinem Vater, schwenkte den Zettel und bemerkte: »Es muss wohl doch wichtig sein, was du machst.«
    »Ja«, sagte Papa, »und

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