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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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die Ohren zu und wollte nicht mehr aufhören mit dem Schreien.
    Dann passierte alles ganz schnell. Papa sah rot und tat etwas, von dem er heute sagt, es hätte ihn das Leben kosten können. Er riss die Tür auf, nahm beim Hinausrennen noch das Buschmesser mit und lief in die Mitte des Kriegsschauplatzes. Christian und ich hielten den Atem an; so hatten wir unseren Vater noch nie erlebt.
    Der Krieg war jetzt auf seinem Höhepunkt angelangt, die Männer hatten Pfeile in ihre Bogen gespannt und zielten aufeinander. Ihre Körper waren in Schweiß gebadet, ihre Augen starr, unbeweglich, als könnten sie nichts mehr wahrnehmen. Und genau so schauten sie auch Papa an, als er in ihre Mitte rannte.
    Als er zwischen den sich bekriegenden Stämmen stand, nahm er den Bogen des nächstbesten Mannes, und mit einem Hieb seines Buschmessers durchtrennte er die Sehne des Bogens. Der Krieger stand vor ihm und starrte einfach durch ihn hindurch. Papa drehte sich um, nahm den nächsten Bogen und tat dasselbe. Dann noch einen und noch einen. Plötzlich wurde es ruhig, alles starrte Papa ungläubig an, keiner bewegte sich mehr. Papa ging zu den beiden Häuptlingen und schleppte sie vor unser Haus. Drinnen hörte man die Schreie von Judith, die sich nicht mehr beruhigen ließ.
    »Hört ihr das, hört ihr die Schreie meiner Tochter?«, brüllte Papa. »Sie schreit, weil sie schreckliche Angst hat. Hört selbst, was ihr mit meiner Familie macht!«
    Keiner sagte ein Wort. Ich starrte ungläubig auf die Szene, die sich vor meinen Augen abspielte.
    Er fuhr fort: »Ich kann meiner Familie dies nicht mehr antun.« Dann drehte er sich zu den Häuptlingen, die beschämt zum Haus hinaufblickten, und sagte: »Ich gebe euch zwei Möglichkeiten. Entweder ihr hört auf, um dieses Haus herum Krieg zu führen, und geht woandershin, um einander abzuschießen – oder ich verlasse euch mit meiner Familie. Entscheidet euch.«
    Mit diesen Worten drehte er sich um und ging ins Haus, knallte die Tür zu und setzte sich auf die Holzbank. Er zitterte am ganzen Leibe. Wir wagten nicht, uns zu bewegen, schauten zwischen Papa und den Fayu-Kriegern hin und her, die sich jetzt versammelt hatten und beratschlagten.
    Judith hatte sich immer noch nicht ganz beruhigt. Sie wimmerte, dass sie von hier fortwolle. Papa ging zu ihr und fragte sie, ob er den Hubschrauber rufen solle, um sie nach Danau Bira zu bringen. Sie sagte ja. Also ging er schweren Herzens und organisierte ihre Abreise für den nächsten Tag.
    Kurz danach hörten wir ein leises Klopfen an unserer Haustür. Häuptling Baou stand vor der Tür und bat Papa, nach draußen zu kommen. Er folgte ihm und stand vor den versammelten Kriegern.
    Häuptling Baou sagte, dass er für alle spreche: Keiner wolle, dass Papa und seine Familie Foida verließen; Papa habe ihnen Hoffnung gebracht, sie liebten ihn und uns alle, und es tat ihnen Leid, dass seine Tochter solche Angst bekommen hatte. »Bitte, Klausu, bleibt bei uns, wir werden keinen Krieg mehr vor deinem Haus führen. Wir wollen, dass unsere Herzen gut werden. Bitte bleib mit deiner Familie. Wir werden sie mit unserem Leben schützen. Es wird euch niemals etwas geschehen. Das versprechen wir. Bitte, Klausu!«
    Papa hatte keine Worte mehr – vor Erleichterung, vor Rührung, vor Staunen. Er schaute nur diese wilden Krieger an, die sich gerade noch umbringen wollten, jetzt aber vereint vor ihm standen und ihn baten zu bleiben.
    Wir blieben; Judith aber wurde am nächsten Tag vom Hubschrauber abgeholt und nach Danau Bira gebracht, wo sie bei der Familie des Piloten wohnen konnte. Die Fayu sangen Trauerlieder, als der Hubschrauber abhob. Sie machten sich vielleicht zum ersten Mal klar, welche Wirkung ihr Tun auf andere haben konnte.
    Am selben Abend noch nahm Häuptling Kologwoi plötzlich ein Stück rohes Fleisch und befahl seinen Kriegern, sich in einer Reihe aufzustellen. Der Erste in der Reihe nahm seinen Bogen und spannte ihn, so weit es ging. Dann traten alle Krieger vom Stamm der Iyarike nacheinander durch den gespannten Bogen, bis Häuptling Kologwoi selbst an der Reihe war und schließlich vor Häuptling Baou stand. Mit einer kleinen Verbeugung reichte er Häuptling Baou das Stück Fleisch.
    Ich sah, wie Papas Augen leuchteten. Er rief schnell nach Nakire und fragte ihn, was gerade geschehen war.
    Nakire erklärte, dass die Iyarike, Häuptling Kologwois Stamm, einen Mann von Baou umgebracht hatten und dass die Tigre, Baous Stamm, eigentlich das Recht

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