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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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unterschiedliche Stammesgruppen zusammen – ein wunderschönes Erlebnis für uns alle.
     
    Doch wenn ein Fayu sagt, etwas sei nicht weit vom Fluss entfernt, dann darf man ihn nicht beim Wort nehmen. Was für ihn nicht weit ist, ist für uns noch lange nicht nah …
    Voller Vorfreude auf die kleine Dschungelwanderung, die vor mir lag, machte ich mich auf den Weg zu unserem neuen Haus. Wir stiegen aus dem Boot und liefen los – oder besser gesagt, wollten laufen. Denn vor uns erstreckte sich tiefer Sumpf, noch dazu über und über mit Sumpfpalmen bedeckt, die spitze Dornen haben.
    »Und wie kommen wir da rüber?«, fragte ich Papa.
    »Laufen«, meinte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Laufen? Auf was? Da ist kein Boden!«, rief ich entsetzt.
    »Sabine! Bist du etwa ein Weichei geworden?«, lachte Papa. »Siehst du nicht den Baumstamm dort?«
    Ich trat näher und betrachtete skeptisch den dünnen Stamm, der sich kaum über die Wasseroberfläche hob.
    »Keine Angst, Sabine, ich pass schon auf, dass du nicht runterfällst«, sagte Ohri und fiel in Papas Lachen ein.
    Jetzt war mein Stolz verletzt. »Nein, ich schaff das schon«, erwiderte ich, packte, was ich tragen konnte, und begann den Marsch.
    Doch durch den Sumpf zu laufen ist nicht so einfach. Die Baumstämme waren glitschig, und wenn man ins Rutschen kam, konnte man sich nirgends festhalten, denn die Sumpfpalmen waren, wie erwähnt, übersät mit Stacheln. Dazu kam, dass Tausende von Insekten nur darauf warteten, sich auf einen zu stürzen. Während einer dieser Überquerungen war ich einmal von Kopf bis Fuß mit großen schwarzen Spinnen bedeckt. Sogar einen Skorpion musste ich aus meinem Ärmel schütteln. Und wenn man in den Schlick fiel, was mir auch mehrmals passierte, sank man fast so schnell wie in klarem Wasser und konnte sich eitrige Infektionen holen, die monatelang anhielten.
    Aber letztlich machte es mir doch Spaß. Ich liebte das Abenteuer, wie schon als Kind. Und wenn wir besonderes Glück hatten, war das ganze Gebiet überflutet, und wir konnten mit einem kleinen Kanu bis zum Rand des Hügels fahren.
    Der Weg durch den Sumpf betrug ungefähr 750 Meter. Danach mussten wir noch eine halbe Stunde bergauf laufen. Dieser Teil der Reise war angenehm. Fauna und Flora beeindruckten uns jedes Mal tief, die riesigen Bäume schützten vor der Hitze, und es gab unglaublich viele Vögel in diesem Teil des Urwalds.
    Endlich auf dem Hügel angekommen, bot sich unseren Augen ein unbeschreibliches Bild. 360 Grad purer Dschungel, so weit das Auge reichte – wie ein sattgrüner Teppich, der sich Hunderte von Quadratkilometern weit über das Land breitete. Ich verliebte mich von der ersten Sekunde an in diesen Ausblick. Wir hatten wahrlich einen paradiesischen Ort für unser neues Haus gefunden.
    Und direkt auf der Spitze des Hügels prangte es nun, bei weitem besser gebaut als unser altes, zweistöckig sogar, ein wahrer Palast für uns. Unten war ein großer Raum, der als Küche und Essplatz diente. Links gab es ein kleines Badezimmer, und dazwischen führte eine kleine Treppe nach oben. Dort lagen die drei Schlafzimmer: eines für Mama und Papa, eines für Christian, und wir Mädchen teilten uns das dritte.
     
    Es begann eine ruhige Zeit. Unsere alte Dschungelroutine war im Nu wiederhergestellt. Ich war inzwischen fünfzehn Jahre alt und saß immer noch gern mit meinen Kindheitsfreunden ums Feuer, die zu jungen Männern herangewachsen waren. Sogar Ohri, einst klein und gelähmt, war ein großer, stolzer Mann geworden. Wenn ich ihn beobachtete, füllte sich mein Herz mit schwesterlicher Liebe. Ich dachte an die Zeit zurück, als er fast an einer Infektion gestorben war und wie er dann langsam zu einem engen Familienmitglied wurde. Jetzt saß er dort, strahlte mich an und sagte mir immer wieder, wie sehr er uns vermisst, wie sehr er geweint hatte. Und wie sehr er sich jetzt freute. »Meine Familie ist wieder bei mir«, das waren seine Worte.
    Unser neues Haus auf dem Hügel
    Doch ganz allmählich wurde mir bewusst, dass das Gefühl, alles sei wie immer, eine Illusion war. Wir hatten uns verändert. Unsere wilden Spiele hatten wir aufgegeben, wir spielten nicht mehr Krokodil-im-Wasser, bauten keine Feuerstellen und fingen auch keine kleinen Tiere mehr, um sie zu essen. Dass wir so weit vom Fluss entfernt waren, störte mich nicht; früher hätte ich darunter gelitten. Obwohl ich noch immer gern im Fluss schwamm, interessierten mich jetzt andere Dinge, zum

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