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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Gesellschaft wieder wahr.
    Und so war das Singen ein Ventil, wenn man von Gefühlen überwältigt wurde – für Glück oder Unglück gleichermaßen.
     
    Als wir aus dem Heimaturlaub zurück waren und zwischen dem Fayudorf und der Hauptstadt zu pendeln begannen, kam es öfter vor, dass die Familie auf beide Standorte verteilt war. Papa konnte sich schlecht daran gewöhnen, von Mama getrennt zu sein, er vermisste sie sehr und machte mir in diesen Zeiten einen ganz verlorenen Eindruck.
    Und so saß er eines Abends auf unserem neuen Hügel. Mama war in Jayapura geblieben, denn Christian hatte Malaria, und sie wollte ihn nicht allein lassen. Die Fayu waren schon in ihren Hütten verschwunden, und ich saß im Haus und las im Schein meiner Taschenlampe ein Buch.
    Plötzlich hörte ich von draußen ein eigenartiges Heulen. Ich sah nach, und da stand mein Papa ganz allein vor dem Haus und sang, in den klassischen drei Tönen, ein Trauerlied in der Fayu-Sprache:
    »Oohh Doriso, wo bist du, oohh Doriso, ich bin ganz allein, ooohhh, Häuptling Kologwoi hat eine tolle Frau, und auch Nakire, oohhh, nur ich bin allein, ohhh, mein Herz ist so traurig«, sang er in den Urwald hinaus.
    Ich konnte mir kaum das Lachen verbeißen; mein Papa war wirklich lustig manchmal. Kaum hatte er die zweite Strophe begonnen, kamen die Fayu aus ihren Hütten. Sie rannten zu ihm, nahmen ihn in den Arm und versuchten ihn zu trösten. Dann stimmten sie alle gemeinsam ein neues Trauerlied an:
    »Ooohh Doriso, komm schnell, ooohh Doriso, dein Mann braucht dich, oohh Doriso, er ist so traurig, ooohhh Doriso, komm schnell«, so schallte es in die Nacht. Es war ein herrlicher Klang, den ich nie vergessen werde.
     
    Am nächsten Morgen kam Ohri zu mir. Er wollte mir etwas zeigen. Ich folgte ihm zum Rand des Dorfes, wo er auf eine neu gebaute Hütte zeigte.
    »Mein neues Haus!«, sagte er mit viel Stolz.
    Ich bewunderte es über alle Maßen, wie es üblich war bei den Fayu. So eine schöne Hütte hätte ich noch nie gesehen, versicherte ich ihm. Er strahlte über das ganze Gesicht.
    Die Hütte war einfach gebaut und doch mit viel Liebe und Sorgfalt fertig gestellt. Das Dach war aus Palmblättern geflochten, und die Wände hatte er mit breiten Holzbrettern vernagelt. Eine einfache Treppe führte hinauf zum Eingang. Doch was mich berührte, war, dass Ohri seine Hütte geschmückt hatte, eine Seltenheit bei den Fayu. Der Boden war mit flachem Bambus ausgelegt, und in der Mitte gab es einen Platz zum Feuermachen. In der westlichen Welt mag man es sich ja nicht vorstellen, aber nachts im Dschungel wird es manchmal richtig kalt. Die Feuerstelle war also genau das Richtige zum Heizen, zum Kochen und um die Moskitos fern zu halten. Ich lächelte in mich hinein, denn in diesem Moment wurde mir bewusst, dass Ohri ans Heiraten dachte.
    »Ohri wird bestimmt ein guter Ehemann«, dachte ich ein wenig neidvoll. Ich war stolz auf Ohri. Er hatte so viel in seinem Leben überstanden und erreicht und war für mich, wie für viele andere, ein wichtiger Halt geworden. Wenn ich mich nicht gut fühlte, war es immer Ohri, der neben mir saß und meine Hand hielt. Allein seine Anwesenheit gab mir die Ruhe zurück, nach der ich mich so sehnte. Er war ein wichtiger Teil meines Daseins; nicht zuletzt seinetwegen hielt ich an meinem Leben im Dschungel fest. Und in diesem Moment fühlte ich ganz besonders, wie wichtig es mir war, ihn als meinen Freund und Bruder bezeichnen zu dürfen.
    Gemeinsam gingen wir wieder zu unserem Haus. Dort wartete schon eine heiße Tasse Kaffee auf mich. Ich fragte Ohri, ob er auch eine wolle, doch er runzelte wie alle Fayu nur die Nase und sagte
»Hau«.
    Ohne ein Wort zu sagen, saßen wir dann auf dem Baumstamm vor unserem Haus und bewunderten einmal mehr das traumhafte Land vor uns. In diesem Augenblick fühlte ich mich wirklich wohl. Ich musste nicht an die Zukunft denken oder daran, was aus mir werden sollte. Zusammen mit Ohri hatte ich inneren Frieden und wandte meine Gedanken ihm zu: Ich wünschte ihm Glück für seine Pläne.

Ehebruch und andere Wirren des Lebens
    W ie jedes Vergehen war der Ehebruch bei den Fayu bis vor kurzem noch mit dem Tod bestraft worden. Doch die Zeiten hatten sich auch hier geändert. Es erstaunte uns, wie es den Fayu nun gelang, all ihre Probleme neu zu lösen. Wie immer hatte Papa den Weg verfolgt, sich aus den Stammesregeln herauszuhalten. Der Stamm sollte seine Entscheidungen selbst treffen – wir waren nicht dort, um

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