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DSR Bd 4 - Das Schattenlicht

DSR Bd 4 - Das Schattenlicht

Titel: DSR Bd 4 - Das Schattenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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sah der verblüffte Reiter, wie sein Pferd geradezu meisterhaft gestohlen wurde, und schüttelte seinen Kopf. Er drückte sich auf die Knie hoch und gab einen schrillen Pfiff von sich.
    Haven hörte den Pfeifton – und das Reittier ebenfalls, denn es schien mitten im Schritt innezuhalten. Dann wurde es langsamer und blieb stehen, trotz ihrer größten Anstrengungen, es mit Peitschenhieben wieder zum Laufen anzutreiben. Der Krieger pfiff erneut, und das Tier schwenkte herum und trottete zur Stelle zurück, wo sein Besitzer wartete. Das gut ausgebildete Pferd blieb gehorsam vor seinem Herrn stehen und senkte seinen Kopf, um Gras zu fressen, während Haven aus dem Sattel gezogen wurde.
    Als Havens Füße wieder auf dem Boden standen, hatten sich drei weitere Reiter zu dem ersten gesellt. Die Neuankömmlinge mussten gesehen haben, was sie gemacht hatte, denn alle drei starrten sie an, als wäre eine streitsüchtige Göttin der Jagd auf die Erde hinabgestiegen, um ihre Pferde zu stehlen.
    Einer der berittenen Krieger sprach einen kurzen Befehl zu seinem Kameraden auf dem Boden, und dann wendete er sein Pferd und begann, den Weg zurückzureiten, den sie gekommen waren.
    Haven erwartete, dass die anderen zurückreiten, sie fesseln und an einem Strick hinter sich her zerren würden. Doch zu ihrer Überraschung wurde sie hochgehoben und wieder in den Sattel gesetzt. Der Krieger, dessen Reittier sie, wenn auch nur kurz, in Beschlag genommen hatte, schwang sich hinter ihr aufs Pferd und kehrte mit seinen Kameraden, die eng beieinander blieben, zum Tal zurück.
    Als sie das Flussufer erreichten, tauchte gerade die erste Welle der Invasionsarmee aus dem frühmorgendlichen Nebel auf – angeführt von einer Doppelreihe aus den unglaublichsten Geschöpfen, die Haven jemals gesehen hatte.

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

    D ie gewaltigen grauen Tiere, die so groß wie ein Haus waren, bewegten sich mit einer imposanten Anmut, die ihre plumpen Proportionen Lügen strafte. Bestürzend, beinahe lächerlich in ihrem Aussehen, gab es dennoch etwas ungeheuer Anziehendes an ihnen. Obgleich sie riesig bis hin zur Absurdität waren, verhielten sie sich dennoch ruhig: Sie bewegten sich durch den Flussnebel so stumm wie Geister – als hätte sich eine jenseitige Gelassenheit ihrer bemächtigt, eine Seelenruhe und Würde von den gleichen Ausmaßen wie ihre Größe.
    Haven erkannte sie wieder – aus einem Bestiarium, in das sie sich als Kind vertieft hatte, wenn sie an regnerischen Nachmittagen viele gemütliche Stunden in der Bibliothek ihres Vaters verbrachte. Doch jetzt, wo Haven sie in natura sah, war sie auf den ersten Blick angewidert von ihrer ungeheuerlichen Erscheinung: riesige, flatternde Ohren an einem kolossalen, hochgewölbten Kopf, aus dem große, sich biegende Krummsäbel aus bleichem Gebein herauswuchsen – ähnlich den Hauern eines Wildschweins, aber so lang wie drei Gliedmaße –; hässliche, schlabbrige Haut, die nackt und haarlos war und die Farbe des Grabes besaß – eine Haut, die so runzelig und zerknittert und faltig war, dass sie uralt zu sein schien –; gigantische Säulen von Beinen, die keine Füße hatten, jedoch in flachen, runden Polstern endeten, die so breit und rund und ausladend wie die Reling eines Schiffes waren. Am erschreckendsten von allem war die Schnauze, die – anstatt sich geschmackvoll zu einem bescheidenen, runden Maul oder auch bloß zu der stöbernden Stupsnase eines Schweins zu verjüngen – immer weiter und weiter ging, um ein lächerlich langes Anhängsel auszubilden, das augenscheinlich den heimtückischen Eigensinn einer Schlange besaß und aus eigenem Antrieb sich wand und umhersuchte. Und zu guter Letzt gab es auf dem Rücken des Tieres noch einen berghohen Buckel, der zu einem unbedeutenden Nachsatz von einem Schwanz absank – nur ein nackter Stummel, aus dem eine armselige Hand voll Borsten herauswuchs.
    Obgleich Haven sie abstoßend fand, konnte sie ihre Augen nicht von den widerlichen Kreaturen abwenden. Je länger sie zusah, wie die Tiere in ihrer langsamen, schwankenden Gangart marschierten, desto häufiger ertappte sie sich dabei, von ihnen beeindruckt zu sein. Als sie nahe genug herangekommen waren, dass Haven ihre großen leuchtenden, verständnisvollen Augen sehen konnte, die von dunklen Wimpern umsäumt wurden, hielt sie sie unerklärlicherweise für liebenswert.
    In Erstaunen versunken, flogen alle Gedanken über ihre Gefangennahme und ihr wahrscheinliches Schicksal

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