DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
Blöcken abzuschlagen.
Bei jedem Hieb gab das Mauerwerk ein wenig weiter nach, und es stürzte nach nur wenigen kräftigen Schlägen mit dem Pickel nach innen ein. Die Ziegelsteine brachen mit einem tiefen, widerhallenden Poltern zusammen, das wie ein Donnern klang. Es geschah so schnell, dass Charles einen Augenblick lang bloß dastand, dem Echo lauschte und in die vor ihm gähnende Dunkelheit hineinspähte. »Wir sind drin!«, rief er die Treppe hoch zu Shakir, der oben wartete. »Bring Fackeln. Ich brauche Licht.«
Er sprach immer noch, als ein weiteres tiefes Rumpeln zu vernehmen war. Das Geräusch ähnelte so sehr dem einer weiteren zerfallenden Wand, dass Charles nach hinten in die Leere blickte und halb erwartete, den Eingang zusammenbrechen zu sehen. Aber alles war noch so wie Augenblicke zuvor. Er schaute wieder zu Shakir hoch und sah, dass der junge Mann und mehrere der Arbeiter himmelwärts blickten.
»Was war das?«, schrie er aus dem Loch heraus. Er legte eine Hand um sein Ohr und rief: »Shakir – dieses Geräusch. Was war das für ein Geräusch?«
Noch während er sprach, wurde der Himmel von einem Blitz erhellt; und ein paar Sekunden später hallte ein tiefes Poltern durch die Schlucht wider. Unverkennbar Donner. Ein Sturm war im Anmarsch. Ein seltenes Ereignis in einer der trockensten Regionen der Welt, nichtsdestotrotz geschah so etwas. Und es war im Begriff, jetzt zu geschehen.
»Die Fackeln!«, rief Charles erneut. »Bring Fackeln. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Er trat in den gähnenden Eingang des Grabmals hinein. Langsam passten sich seine vom Licht geblendeten Augen der Dunkelheit an. Er begann, die dunkle Masse von Gegenständen auszumachen; ihre Umrisse wurden in groben Zügen durch das Licht erkennbar, das von draußen schräg einfiel. Schon war er im Begriff, erneut zu rufen, als Shakir im Eingang erschien und ihm eine Fackel in die Hand stieß.
Abermals drehte er sich zur Kammer um. Der flackernde Lichtschein enthüllte ein unaufgeräumtes Durcheinander von Gerümpel, das achtlos zu willkürlichen Haufen angesammelt war; und alles war von einer altersgrauen Staubschicht bedeckt. Charles hatte solch einen Wirrwarr zuvor schon gesehen: in seinem eigenen sehr verwahrlosten Dachgeschoss. Doch während Charles’ Speicher Teekisten voller alter Kleidungsstücke, Bücher, abgenutzte Möbel, Bettwäsche für andere Jahreszeiten und Ähnliches enthielt, befanden sich in dieser Kammer Stühle und Betten und Lampenständer, die schlanken Räder von mehreren zerlegten Pferdewagen sowie diese selbst, Speere und Stäbe und Bögen mit Köchern und Pfeilen, bemalte Wandschirme, aus Stein und Holz angefertigte Truhen und zahlreiche kleine Statuen. Und überall: Gefäße. Der Raum war geradezu zwanghaft von Behältnissen in allen Formen und Größen angefüllt worden – von winzigen, zierlichen Salbentöpfen aus Alabaster mit den Köpfen von Göttinnen auf den Deckeln bis hin zu Getreidekrügen aus Terrakotta von so gigantischen Ausmaßen, dass man ein halbes Dutzend Männer gebraucht hätte, um sie auch nur zu verschieben.
Die Wände waren geschmückt mit Gemälden – kunstvolle Szenen vom Leben am Nil, die mit viel Liebe in auserlesenen Details wiedergegeben wurden. Sie dokumentierten eine Zeit und eine Kultur, die jetzt mindestens dreitausend Jahre entfernt waren, und doch wirkten die Bilder so frisch, als wären sie noch feucht. Die Farben, die Unmittelbarkeit und die Intimität waren atemberaubend.
Charles beobachtete all dies in einem einzigen, länger andauernden starren Blick entrückten Erstaunens. So viele wunderbare Dinge! Die tiefe Bedeutung und das Ausmaß des Schatzes waren schwindelerregend. Er war aufgewachsen mit Berichten über den Reichtum der Menschen im Altertum, aber er hatte ihn sich niemals in Haufen angesammelt vorgestellt, die man einfach so nehmen konnte. Hier war er, jener Reichtum, und er lag ausgebreitet vor Charles, unberührt seit dem Tag, als all diese Gegenstände in das Grabmal gekommen waren.
Er drang weiter in das Schatzhaus voller Objekte ein, und seine Fackel enthüllte mehr und immer mehr wunderbare Dinge. Im flackernden Licht glänzten viele von ihnen in einem warmen Gold. Doch je mehr er sah, desto besorgter wurde er. Mit sinkendem Herzen begriff er, dass er nicht den einen Gegenstand sah, mit dessen Auffindung er gerechnet hatte. Nirgendwo zwischen der verblüffenden Fülle an Objekten gab es einen Sarkophag.
Während Charles sich umblickte,
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