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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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Einritzung in Samantha Rossis Leiche erzählt?«
    In ihren Augen lag Traurigkeit. Er machte Linda traurig, und das war unerträglich für ihn.
    »Du hast es mir selbst gesagt, Michele. Durch deine Reaktion an jenem Abend damals im Restaurant.«
    Zu seinem Verlangen gesellte sich Enttäuschung, und zu seiner Enttäuschung ein Zorn, der sich in seinem Blut ausbreitete wie Heroin.
    »Blödsinn, irgendwer hatte es dir verraten. Du wusstest es schon vorher.«
    »Ich hatte eine Vermutung, aber nach deiner Reaktion an dem Abend war ich mir sicher«, sagte sie völlig ruhig.
    »Das glaube ich dir nicht. Außerdem …«, er unterbrach sich, bevor er den Satz zu Ende sprach, der jede Brücke zwischen ihnen für immer einreißen würde. Die unbezwingbare Wut war wieder da, die Wut des jungen Mike Balistreri, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er wollte. Jene Wut, die er im Sommer 1970 auf dem Grunde des Mittelmeers zu begraben geglaubt hatte.
    Sie versuchte, ihn zu bremsen. »Angelo hat damit nichts zu tun.«
    »Wirklich nicht? Woher soll ich wissen, dass du nicht schon wieder lügst? Hast du die Krankenschwester für mich gemacht, damit ich wieder gesund werde und den Unsichtbaren weiter jage? Warst du auf die Story aus, falls ich ihn finde?« Seine Stimme klang immer drohender.
    »Michele, wenn du deinen Käfig jetzt nicht verlässt, bleibst du für immer darin gefangen.«
    »Ich hätte dich verprügeln sollen wie eine gewöhnliche Schlampe. Du mit deiner beschissenen heiligen Agnes.«
    Das Licht in ihren Augen war ein anderes. Ein Bedauern. Und ein Abschied.
    »Ja, Michele. Dann hättest du diese Geschichte vielleicht endlich verstanden.«
    Diese Worte. Die Ruhe, mit der sie ausgesprochen wurden. Ihre im Halbdunkel leuchtenden Augen. Er fühlte sich um sechsunddreißig Jahre zurückversetzt, an jenen Punkt, den selbst die schlimmsten Gewissensbisse nicht in Reue verwandeln konnten.
    Die Ohrfeige schleuderte Linda gegen die Wand. Mit einem Arm blockierte er ihre Handgelenke, mit dem anderen packte er sie an den Haaren und zwang sie, ihn anzusehen. Dann küsste er sie heftig und versuchte, seine Zunge in ihren Mund zu stoßen. Sie rührte sich nicht und ließ es stumm geschehen.
    Diese Passivität, dieser völlige Verzicht auf jegliche Verteidigung brachte ihn noch mehr auf. Er riss ihr Bluse und BH vom Leib und warf sie aufs Sofa. Linda hielt sich nur die Arme vor die Brust, während er ihr Turnschuhe und Hose auszog. Dann hockte er sich auf sie, keuchend vor Wut und Verlangen.
    »Hat es dir heute schon jemand besorgt?«
    Sie wandte das Gesicht ab, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, und er zerfetzte ihren Slip. Um seine Hose aufzuknöpfen, musste er sich aufrichten, dann war er bereit. Aber genau in diesem Moment, als ihre Körper voneinander getrennt waren, im schummrigen Licht, in der absoluten Stille, die nur von seinem Schnaufen gestört wurde, sah Balistreri das flüchtige Bild einer halb nackten Frau, die zerrissenen Kleider, die vor der Brust verschränkten Arme, die entblößte Scham. Das konnte Elisa, Samantha, Nadia, Ornella, Alina oder die heilige Agnes sein. Und es konnte noch eine andere Frau sein, die er nie vergessen hatte seit dieser letzten Nacht im August 1970.
    Wie Linda es vorausgesagt hatte, sickerte ein erster Schimmer der Wahrheit zu ihm durch. Nur ein Gefühl, kein richtiger Gedanke. Ungläubig und entsetzt taumelte er zurück. Er stieß gegen die Tischlampe, die krachend zu Bruch ging und die Wohnung in totale Finsternis tauchte. Diese Finsternis nutzte er aus, um sich in die Nacht zu flüchten.

Samstag, 22. Juli 2006
    Vormittag
    Nach einer weiteren schlaflosen Nacht kam Balistreri unrasiert, schmutzig und zerknittert zum Flughafen. Er stank nach Zigaretten und Alkohol. Ob seine überdrehte Erschöpfung daran lag, dass er die Antidepressiva nicht mehr nahm, oder ob es mit der schwindelerregenden Entwicklung der Ereignisse zu tun hatte, konnte er selbst nicht sagen.
    Ist mir jetzt auch scheißegal. Ich ziehe das bis zum bitteren Ende durch.
    Franca Giansanti hatte er das letzte Mal vor vierundzwanzig Jahren gesehen, an jenem verdammten Morgen, an dem sich Ulla in die Tiefe gestürzt hatte und die Pförtnerin mit ihrer Version der Wahrheit aus Indien zurückgekehrt war. Sie wunderte sich ein wenig, ihn in diesem Zustand totaler Verrohung anzutreffen, ließ sich aber nichts anmerken.
    Auf dem Flug nach Lecce erzählte Franca weinend von ihrer Tochter Fiorella. Als ihr Mann an einem Tumor

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