Du bist das Boese
gutmütiger, beliebter Mensch, doch all seine Gewissheiten hatten sich in Luft aufgelöst. Er fühlte sich, als hätte man ihn an einen Stuhl gekettet und in den Treibsand gestellt.
Abend
Es war schon dunkel, als Balistreri zum dritten Mal das Regina Coeli betrat. Das quälende Bild von Angelo und Linda ließ ihn nicht los. Er verscheuchte es wütend und versuchte, sich auf Hagi und Fiorella Romani zu konzentrieren. Das warf ihn jedoch wieder auf seine Albträume zurück, auf jenen Sommer 1970 in Afrika.
Corvu rief aus Kiew an, um sich nach dem Fortgang der Ermittlungen zu erkundigen. Balistreri berichtete, dass Hagi alles gestanden hatte, auch den Mord an Elisa und den Buchstaben O. Dann erzählte er ihm von Fiorella Romanis Verschwinden.
»Dann komme ich morgen zurück, Dottore. Natalya freut sich, dass ich hier bin, aber ich halte es nicht länger aus.«
»Gut, Corvu. In dem Fall werde ich den Polizeipräsidenten heute Abend noch bitten, dich umgehend zum Ziegenzählen in die schönen sardischen Berge zu versetzen. Damit du mal zur Ruhe kommst.« Dann legte er auf.
Er betrat das Zimmer gemeinsam mit dem Staatsanwalt und Morandi, der sich wieder bemüßigt fühlte, irgendetwas zu flüstern. Balistreri ignorierte es.
Hagi wirkte nach den wenigen Stunden Ruhe erholt. Seine Wärter hatten beobachtet, dass er etwas gegessen und ein wenig geschlafen hatte. Die medizinischen Untersuchungen nach dem ersten Verhör bestätigten allerdings die Diagnose von Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Die Ärzte waren sicher, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
»Sie sind müde, Balistreri. Die Ringe unter Ihren Augen werden immer dunkler und größer. Wenn Sie so weitermachen, kriegen Sie einen Herzinfarkt, bevor ich an meinem Krebs krepiere«, sagte Hagi vergnügt.
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich möchte mit Ihnen über Fiorella Romani reden. Lebt sie noch?«
Hagi schien gründlich über diese Frage nachzudenken.
»Vermutlich schon. Hängt natürlich von ihrem Durchhaltevermögen ab.«
Der Staatsanwalt konnte sich nicht länger beherrschen. »Sie sollten froh sein, dass Sie seit Jahren in einem zivilisierten Land wie dem unseren zu Gast sind. Hier foltert Sie niemand, wie Ceau ş escus Killer es mit Ihrem Bruder getan haben. Wenn es nach mir ginge, würde ich es sofort tun, um zu erfahren, wo Sie das Mädchen versteckt haben.«
Hagi sah den Staatsanwalt mitleidig an. »Nicht einmal auf einer Insel ohne Gesetze wären Sie in der Lage, mir ein Haar zu krümmen. Ihr seid doch alle Schlappschwänze, genau wie in den letzten Jahren des Römischen Reichs. Irgendwann werden die sogenannten Barbaren eure Frauen vergewaltigen, sich eure Häuser und euer Land nehmen, und ihr werdet tatenlos zuschauen.«
Sogar Morandi mischte sich ein. »Signor Hagi, ich flehe Sie an, Fiorella Romani freizulassen. Das wird sich vor Gericht positiv für Sie auswirken.«
Hagi lachte. »Bevor ich einen Richter sehe, bin ich längst unter der Erde. Dennoch bin ich unter gewissen Umständen bereit, Fiorella Romani zu verschonen.«
Balistreri beugte sich zu Hagi vor. »Was verlangen Sie dafür?«
»Nur die Wahrheit, Balistreri. Eigentlich eine Kleinigkeit, wenn Sie nur nicht so ein Versager wären.«
Der Staatsanwalt und Morandi sahen ihn fassungslos an.
Balistreri aber war vorbereitet. Er wusste, welche Wahrheit er meinte.
Die Wahrheit, die ich nicht gefunden und die zu suchen ich mich all die Jahre geweigert habe. Ich glaubte, Buße zu tun, indem ich auf das Leben verzichtete.
»Ich soll also mit Fiorella Romanis Großmutter reden und die Ermittlungen im Fall Elisa Sordi wieder aufnehmen. In der Zwischenzeit könnte Fiorella aber sterben«, sagte Balistreri, während der Staatsanwalt und Morandi ihn anstarrten, als spräche er Chinesisch.
»Wir sorgen schon dafür, dass sie noch ein bisschen am Leben bleibt. Allerdings rate ich Ihnen, diesmal schneller zu sein, Balistreri. Fiorella wird keine vierundzwanzig Jahre mehr leben.«
Der Staatsanwalt ging dazwischen. »Das verstehe ich nicht. Vorhin haben Sie doch gesagt, Sie hätten Elisa Sordi getötet, Signor Hagi. Von welcher Wahrheit reden wir hier eigentlich?«
Hagi sah sie voller Verachtung und Abscheu an.
»Ich habe nicht gesagt, dass ich sie getötet habe, sondern nur, dass ich ihre Leiche in den Tiber geworfen habe. Ihr seid ein Haufen Versager, genau wie Balistreri, dieser Straßenfeger vom Paradies. Ich will die Wahrheit, nur die kann Fiorella Romani
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