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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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erhoben sie sich, als sie mich kommen sahen, merkten aber gleich, dass ich ihnen nicht in die Augen schauen konnte. Signor Amedeo legte seiner leise schluchzenden Giovanna den Arm um die Schultern. Im sommerlichen Halbschatten dieses tristen Raums sah ich das viel zu weite graue Jackett von Amedeo Sordi, sah die Furche in seiner Stirn, tiefer noch als die eingefallenen Wangen in seinem fahlen Gesicht, sah die einzige Träne, die sich aus Giovanna Sordis Augen löste, sah den Schimmer der Julisonne, der durch ein Fenster drang und auf das glänzende Foto fiel, das sie in der Hand hielt, ein Foto von ihrer Tochter. Sie sprachen kein Wort und fragten auch nichts.
    Was diese Eltern am allerwenigsten brauchten, war die Anteilnahme eines jungen frustrierten Polizisten, der sich seines Versagens nur zu bewusst war. Am Ende brachte ich ein nichtssagendes »Aufrichtiges Beileid« über die Lippen, um mich dann in meinem Büro zu verbarrikadieren. Was tat mir leid? Die Vernichtung eines jungen Lebens? Die zerstörte Existenz dieser Eltern? An diesem Wochenende würde ich vielleicht nicht in den Discotheken am Meer tanzen und saufen und anschließend mit irgendeiner Frau vögeln. Ich würde vielleicht unruhig schlafen. Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Dann würde ich wieder zur Routine übergehen: Büro, Poker, Whisky, Sex, tiefer Schlaf.
    Diese Eltern aber würden nie wieder ruhig schlafen. Abend für Abend würden sie das Zimmer ihrer einzigen Tochter betrachten, das leer war wie der Rest ihres Daseins. Und sie würden sich an meine im Suff gelallten Worte erinnern: »Elisa schaut sich bestimmt nur mit Freunden das Spiel an.«
    Wütend verdrängte ich den Gedanken. Was vorbei ist, ist vorbei. Nur die Zukunft zählt.
    Am Abend trank ich eine Flasche Whisky und sinnierte darüber nach, dass dies nicht mehr das vertraute Kindheitsdrama war, von dem sich das Ego des kleinen Mike genährt hatte. Ich war nicht mehr Michelino, der gern Western sah, der furchtlose Cowboy, der alle Bösewichte umlegte. Ich war ein Mann von zweiunddreißig Jahren, der sich einen Dreck um andere kümmerte. Sogar um sich selbst. Die Gründe kannte ich gut, sie lagen klar auf der Hand.
    Was zum Teufel suchte ich nur? Wollte ich mir selbst die Absolution erteilen? Wollte ich meinen ewigen Schuldgefühlen entkommen, indem ich das Böse aufspürte? Wer war denn das Böse?
    So oder so, das Schicksal sah das jedenfalls anders als ich.

Samstag, 17. Juli 1982
    Der Leiter der Mordkommission übertrug den Fall offiziell Teodori. Anfangs fragte ich mich, warum sie einen Ermittler ausgewählt hatten, der kurz vor der Pensionierung stand und ganz offensichtlich nicht in Form war. Damals hatte ich noch keinen Blick für die Subtilitäten der Politik, vor allem nicht für die der Christdemokraten.
    Dabei wusste ich, dass der Mord an Elisa Sordi im Zentrum der Macht geschehen war. Ein luxuriöses Anwesen, ein Kardinal und ein adliger Senator, der in Italien den König wieder auf den Thron setzen wollte. Die geistliche und die irdische Macht. Und auf der anderen Seite Eltern aus der Arbeiterklasse und ein junges Mädchen aus der Peripherie, das wahrscheinlich selbst nicht ganz unschuldig an der Sache war. Schlechter Umgang oder vielleicht auch ein Perverser, der zufällig von ihrer außergewöhnlichen Schönheit angelockt worden war.
    Mir wurde die Rolle von Teodoris Assistenten zugewiesen, weil ich der zuständige Kommissar war und die Gegebenheiten vor Ort, die Anwohner und das Opfer kannte. Außerdem war ich noch in der Via della Camilluccia gewesen, bevor Elisa Sordi zu ihrem letzten Spaziergang aufgebrochen war. In den Anruflisten war vermerkt, dass ich sogar mit ihr telefoniert hatte. Sicher, ein Irrtum, da ich eigentlich mit Dioguardi sprechen wollte. Jedenfalls war ich für Teodori die ideale Stütze.
    Dass niemand von der Squadra mobile meine Akte und meinen persönlichen Werdegang überprüft hatte, war nur eine der üblichen Schlampereien der italienischen Bürokratie. Wäre es geschehen, hätte man schon dafür gesorgt, dass ich dem Paradies in der Via della Camilluccia und den Ermittlungen nicht zu nahe kam.
    Die Rekonstruktion des Sachverhalts war eindeutig. Nach dem Mittagessen hatte Elisa im Büro weitergearbeitet. Um kurz nach fünf, gleich nach meinem Anruf, hatte sie mit ihrer Mutter telefoniert. Vor siebzehn Uhr dreißig hatte die Pförtnerin einen Aktenordner bei ihr abgeholt und zu Cardinale Alessandrini gebracht. Niemand hatte Elisa Sordi um

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