Du bist das Boese
wenig. Sie tranken mitten auf der Straße ihr Bier und sahen sich nicht einmal um.
»Vergiss es, Michele. Lass uns am Tiber parken und die paar Schritte zu Fuß gehen.«
Ich hupte ein Grüppchen an, das uns den Weg versperrte. Eine junge Frau schrie erschrocken auf und ließ ihre Bierflasche fallen. Der große Junge neben ihr drehte sich um und rief: »Fick dich ins Knie, Arschloch.«
Im Nu war ich aus dem Auto gesprungen, während mich die jungen Leute noch anpöbelten, und wandte mich an den Großen. »Was hast du gesagt?«
Etwas an meinem Ton oder meinem Blick schien ihn zu warnen. »Ich mein ja nur … was soll das denn?«, sagte er und schwankte leicht. Die anderen verstummten.
Ich nahm ihm die Bierflasche aus der Hand und kippte sie aus. »Ihr macht jetzt sofort die Fliege«, drohte ich.
Das war zu viel. Wie bei Valerio Bona hatte ich es geschafft, ihn genau dahin zu bringen, wo ich ihn haben wollte. Ich sah die Faust kommen und tauchte darunter weg. Mein Aufwärtshaken traf ihn exakt am Solarplexus, der junge Mann klappte zusammen und rang nach Luft. Ich wartete darauf, dass er wieder reagierte, weil ich ihm wehtun wollte. Ich spürte die Wut in mir, stark, mächtig. Der Junge hatte nichts damit zu tun, und doch achtete ich darauf, ihn nicht zu hart zu treffen, um mich weiterprügeln zu können. Nach einer Weile legte Angelo mir die Hand auf den Arm.
»Michele, hör auf. Bitte.«
Sein gequälter Blick überzeugte mich. Er wusste, woher all diese Wut kam. Ich stieg ins Auto, ohne mich in der Stille ringsum noch einmal umzusehen, und legte den Rückwärtsgang ein. Der Junge lag noch am Boden und versuchte, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Am Tiberufer standen überall Autos. Ich parkte auf einem Zebrastreifen, da ich Knöllchen sowieso nicht bezahlte. Außerdem war ich dienstlich hier, und nicht um abzuhängen wie all diese vergnügungssüchtigen jungen Leute. Das war das neue Wohlstandsitalien, das Italien der Achtziger. Leicht verdientes Geld, Solarium, Fitnessclub, Disco. Joints für die Armen und Koks für die Reichen.
Das Lokal war überfüllt, eine Menschentraube stand bereits davor. Bier, Gelächter, vorbeiratternde Vespas, Cannabisgeruch. Der athletische Barmann im schwarzen Muskelshirt war Jan Deniak. Einer dieser Polen, die sich, dem Papst sei Dank, von ihrem Scheißkommunismus verabschiedet hatten. Ein agiler, drahtiger Typ. Ich wollte ihn noch ein bisschen beobachten, bevor ich zur Tat schritt.
»Paola und ich haben uns getrennt«, sagte Angelo plötzlich.
Deshalb hatte er sich also darauf eingelassen, mich zu begleiten. Wollte er mir ein schlechtes Gewissen machen? Nein, Angelo Dioguardi war alles Mögliche, nur nicht kleinherzig. Aber es war etwas geschehen, das für einen sensiblen Menschen wie meinen wunderbaren Freund unerträglich war. Für einen Zyniker wie mich nicht. Unerträglich war unsere Oberflächlichkeit an diesem einen verdammten Abend. So unerträglich, dass sogar die Beziehung von Angelo und Paola daran zerbrochen war.
»Und dein Job?«, fragte ich und ahnte die Antwort.
»Ich habe den Kardinal gebeten, sobald wie möglich eine Vertretung einzustellen. Ich möchte da nicht bleiben.«
»Das ist Unsinn, Angelo. Du bist doch nicht schuld an dem, was passiert ist«, sagte ich zornig. Wenn irgendeine Form von Oberflächlichkeit im Spiel gewesen war, dann auf meiner Seite. Ich war der Polizist, nicht er.
Er schüttelte den Kopf und schwieg. Mein Freund war kaum wiederzuerkennen.
Ich versuchte es mit Humor. »Du kannst immer noch als Sänger groß rauskommen. Bei deiner Stimme wäre jede Pianobar von Trastevere ausverkauft.«
»Nein, ich werde mein Geld mit Pokern verdienen, das Risiko ist mein wahres Talent. Und mit dem Geld, das ich gewinne, werde ich Gutes tun.«
»Willst du etwa unter die Profis gehen?« Ich zweifelte keinen Moment an seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber das war eine hässliche Welt. Einen anständigen Kerl wie ihn konnte ich mir nur schwer da vorstellen.
»Sie werden mir sicher nicht den Kopf abreißen, Michele. Ich komm schon zurecht, du wirst sehen.«
»Schade, ich hatte mich schon darauf gefreut, dass wir, jetzt wo du frei bist, endlich zusammen die Mädels in den Pianobars aufreißen können.«
Ich versuchte, Witze zu reißen, aber ihm war nicht nach Lachen zumute.
Für Angelo Dioguardi würde es schwer werden, mit seinen Schuldgefühlen zu leben. Er war Katholik und glaubte an das Jüngste Gericht. Ich war ein
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