Du bist in meiner Hand
Bord der Boeing und wünschte sich, es wäre ein Überschallflugzeug.
Noch am selben Abend flog er mit einer Emirates-Maschine nach Dubai und stieg dort gegen Mitternacht in eine Delta-Verbindung nach Atlanta um. Im grauen Licht des frühen Morgens landete das riesige Flugzeug auf dem Hartsfield-Jackson Atlanta International Airport. Thomas kam schnell durch die Passkontrolle und holte am Ausgabeband sein Gepäck ab. Direkt vor dem Flughafengebäude erwartete ihn Andrew bereits am Steuer eines Regierungsfahrzeugs. Thomas warf seine Reisetasche in den Kofferraum und sprang auf den Beifahrersitz.
»Alles, was ich dir jetzt sage, ist streng vertraulich«, begann Andrew, nachdem er in den Verkehr eingefädelt hatte. »Ich musste eine Menge Hebel in Bewegung setzen, damit du mit von der Partie sein darfst. Meine Anfrage musste erst alle Befehlsinstanzen durchlaufen, bis hinauf zum stellvertretenden Justizminister. Wie es der Teufel so will, sind er und der stellvertretende FBI-Chef alte Kumpel. Außerdem hat er große Achtung vor deinem Dad.«
»Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, was für ein toller Kerl du bist?«, fragte Thomas mit einem breiten Grinsen.
Andrew rollte mit den Augen. »Hast du jemals von ›mIRC‹ gehört?«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Es handelt sich dabei um ein Internet-Chat-Programm.«
»Als Abkürzung klingt es beängstigender.«
»Willst du weiter deine Witzchen reißen, oder willst du hören, was ich dir zu sagen habe?«
»Entschuldige.«
»Dieses mIRC ist nicht nur ein Chat-Service für Hobbygärtner. Es ist in einzelne Channels untergliedert, die Chaträumen ähneln, nur unter Umständen sehr viel schwerer zugänglich sind. Einige der Kanäle sind ganz exklusiv. Der Gastgeber bestimmt, wer auf die Party eingeladen wird. Seit der Erfindung von mIRC halten die Jungs von der Cyber-Abteilung des FBI dort nach Kinderpornografie Ausschau. Es ist der neue Wilde Westen – keinerlei Regeln, absolute Privatsphäre und das ganze Internet frei verfügbar für die betreffenden Leute. Die gesamte Unterwelt hat sich auf diese Weise vernetzt. Konsumenten von Kinderpornografie sind ja eigentlich Einzelgänger. Vor den Zeiten des Internets waren sie im Alleingang unterwegs. Jetzt schließen sie sich zusammen.«
»Klingt ja höchst erfreulich«, meinte Thomas. »Ein weltweiter Zusammenschluss von Perversen.«
»Das trifft es ziemlich gut. Allerdings gibt es im FBI-Büro in Washington einen Typen namens DeFoe. Der Mann ist verdammt clever – er hat bei den Green Berets gedient und weiß alles über Computer. Seit Jahren ist er damit beschäftigt, im Web Kinderpornografie aufzuspüren. Kein Mensch weiß, wie er das aushält, aber die Psychologen geben ihm immer wieder grünes Licht. Jedenfalls ist er ein mIRC-Guru. Der Kerl scheint nie zu schlafen. Lange Zeit hat er versucht, einen Channel namens XanaduFuk zu knacken.«
»Zweifellos sind dessen Benutzer höchst ehrenwerte, rechtschaffene Bürger«, meinte Thomas.
»Lauter mustergültige Pfadfinder«, gab Andrew zurück. »Die Kerle, mit denen DeFoe gechattet hat, erwähnten den Channel, sagten ihm aber nicht, wie man reinkommt. Das Ganze ist wie ein Geheimbund. Man bittet nicht um eine Einladung. Der Gastgeber lädt einen von sich aus ein. Wie durch ein Wunder hat DeFoe vor etwa einem Monat eine Nachricht vom Gastgeber bekommen. Dessen Codename lautet Spartacus.«
»Sehr originell«, bemerkte Thomas.
»Wie du gleich erfahren wirst, setzt der Mann seine Kreativität in anderen Bereichen ein. DeFoe fing an, rund um die Uhr auf XanaduFuk zu chatten. Er kam ziemlich schnell dahinter, dass die Benutzer Sextouristen sind, weil sie sich über Orte wie Thailand, Kambodscha und Moldawien unterhielten. Kinder erwähnten sie dabei allerdings nie. Stattdessen tauschten sie sich über teure Weine aus. Da DeFoe sich nichts aus Alkohol macht, musste er erst mal losziehen und sich ein Buch über Wein kaufen. Als er anfing, sich in seinen Chats darüber auszulassen, eröffnete sich ihm eine ganz neue Welt. Es ist wirklich erstaunlich, was Menschen zugeben, wenn sie glauben, anonym zu sein.«
»Sind sie das denn nicht?«
»Irgendwie schon, aber doch nicht so ganz«, antwortete Andrew, während er die Fahrspur wechselte, um einen langen, sehr langsam fahrenden Sattelschlepper zu überholen. »Aber zum besten Teil komme ich gleich. Nach etwa einer Woche bekam DeFoe mit, wie sich jemand darüber ausließ, in den Vereinigten Staaten einen bestimmten
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