Du bist in meiner Hand
ich akzeptiere das«, meinte sie schließlich. »Angenommen, ich glaube dir, dass du dich geändert hast. Wie kommst du auf die Idee, dass deswegen auch die Dinge zwischen uns plötzlich anders liegen?«
»Ich bin hier, oder etwa nicht? Das muss doch etwas bedeuten.« Ihm war klar, dass er sich damit nur aus der Affäre zu ziehen versuchte, aber ihm fielen keine cleveren Antworten mehr ein.
»Ich gehe nicht zurück in die Vereinigten Staaten«, verkündete sie ruhig, »zumindest nicht so bald. Ich möchte, dass du das weißt.«
»In Ordnung.«
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
Er zuckte lediglich mit den Schultern.
»Du wirkst nicht überrascht.«
»Das Einzige, was mich überrascht, ist die Tatsache, dass du jetzt hier vor mir stehst«, erwiderte Thomas.
Priya schwieg eine Weile. Der Wind wehte eine Strähne ihres tiefschwarzen Haars hoch. Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt und ihr Gesicht berührt, aber er hielt sich zurück. Als sie schließlich wieder das Wort ergriff, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung.
»Mein Großvater ist oft mit mir hierher zu diesem Aussichtspunkt gekommen, als ich noch ein kleines Mädchen war. Er hat mir die Skyline der Stadt gezeigt und auf alle Gebäude gedeutet, die ihm gehörten. Mein Vater konnte das nicht ausstehen. Er wollte das, was mein Großvater besaß, nie haben. Seine Liebe galt einzig und allein dem geistigen Leben. Als ich alt genug war, habe ich mich auf die Seite meines Vaters geschlagen.«
Thomas wartete. Er spürte, dass sie noch mehr zu sagen hatte.
»Du wirst nie verstehen, wie schwer es für mich war, zu tun, was ich getan habe: meine Familie zu verlassen, mich den Wünschen meines Vaters zu widersetzen und mich auf die andere Seite des Ozeans zu begeben, um dich zu heiraten. Es ist mir selbst erst so richtig klar geworden, als ich nach Bombay zurückkehrte. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Vater mir jemals verzeihen wird.«
Während er ihr zuhörte, bewunderte Thomas die Klarheit ihrer Gedanken und ihren ruhigen Ton. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie ein Wrack gewesen – ruhelos, zerrissen und gelegentlich sogar von Wahnvorstellungen gequält. Durch den Aufenthalt in Indien schien sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden zu haben, auch wenn Thomas unter der Oberfläche immer noch großen Kummer spürte.
»Wie geht es deiner Großmutter?«, fragte er, erleichtert, sich wieder auf sichererem Boden zu bewegen.
»Sie genießt die beste Pflege, die man für Geld haben kann, aber sie ist schon sehr alt. Mein Vater kämpft mit Schuldgefühlen, weil er mit uns nach England gegangen ist. Dadurch haben wir so viel Zeit verloren.«
»Ich schätze mal, der Herr Professor hält nicht viel von mir, oder?«
Priya schüttelte den Kopf. »Er spricht nicht über dich. Ich weiß nicht, wie er mittlerweile über dich denkt.«
»Ich werde nie ein Inder werden«, erklärte er, »daran lässt sich nun mal nichts ändern.«
»Das macht nichts. Seine Meinung ist seine Sache, meine ist meine.«
»Wäre es ihm lieber, du würdest dich von mir scheiden lassen?«
Priyas plötzlich sehr steife Haltung verriet Thomas, dass er sie mit dieser Frage getroffen hatte. »Wenn eine Frau einen Mann heiratet, dann bedeutet das im Hinduismus, dass sie ihn für sieben Lebenszeiten heiratet«, erklärte sie. »Mein Vater mag in vielerlei Hinsicht ein eher weltlicher Mann sein, aber was das betrifft, ist er fromm. Ich bezweifle, dass er mir jemals zur Scheidung raten würde.«
»Vielleicht, weil wir seiner Meinung nach nie richtig verheiratet waren?«
»Möglich. Aber wir haben den Saptapadi-Ritus vollzogen und uns das Eheversprechen gegeben. Das kann er nicht einfach ignorieren, selbst wenn die Zeremonie nicht traditionell oder vollständig war.«
»War sie für dich denn vollständig?«
Wieder ließ sich Priya mit ihrer Antwort einen Moment Zeit. Thomas hielt den Atem an und hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil er schon nach so kurzer Zeit so viel auf eine Karte setzte. Das war zwischen ihnen immer schon so gewesen. Für Priya war es ein Leichtes, ihn aus der Reserve zu locken, und er sagte dann immer Dinge, die er hinterher bereute.
»Ja«, antwortete sie schließlich. »Das stand für mich immer außer Zweifel.«
Thomas stieß hörbar die Luft aus. »Und was bedeutet das für uns?«
»Dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden.«
Er rechnete damit, dass sie noch etwas konkreter werden würde, doch sie ließ es so
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