Du bist in meiner Hand
zu beeinflussen.«
Vom Bahnhof aus machten sie sich auf den Weg zum Gericht. Obwohl es im vornehmen neogotischen Stil der Raj-Zeit erbaut war, handelte es sich bei dem Gebäude um ein Paradebeispiel städtischer Vernachlässigung. Die Ausstattung war karg, und die Wände und Treppenhäuser wirkten extrem schmuddelig. Nachdem Adrian und Thomas die Treppe in den zweiten Stock hinaufgegangen waren, warf Adrian einen Blick auf den Sitzungsplan neben dem Eingang zum Gerichtssaal und nickte.
»Setzen Sie sich ganz nach hinten«, instruierte er Thomas, »und machen Sie sich möglichst unsichtbar. Der Verteidiger weiß, dass CASE in die Razzia involviert war. Er wird jedes weiße Gesicht automatisch mit uns in Verbindung bringen.«
Gemeinsam betraten sie den Gerichtssaal, und Thomas fand einen Platz in der hintersten Ecke. Vorn gab es eine erhöhte Bank für den Richter und seinen Schriftführer und ihnen gegenüber einen langen Tisch, wo die Mitglieder der Anwaltschaft warteten, bis sie an der Reihe waren. Eine Frau mittleren Alters, die einen schwarz-weißen Sari trug – Thomas vermutete, dass es sich um die Staatsanwältin handelte –, saß am linken Ende des Tisches, nicht weit von einer Gruppe von Polizeibeamten entfernt. Adrian ließ sich neben ihr nieder.
Wie das übrige Gebäude hatte auch der Gerichtssaal seine besten Tage bereits hinter sich. Die Holzvertäfelung wirkte zerschrammt und verblasst, die Wandfarbe trist und abgenutzt. Die Spitzbogenfenster waren mit Gittern versehen, damit sich keine Vögel in den Saal verirrten. Acht auf Höchstgeschwindigkeit laufende Deckenventilatoren sorgten für starken Zug und unaufhörliches lautes Gesurre.
Der Richter war ein grauhaariger Mann mit ausdrucksloser Miene und einer Lesebrille auf der Nase. Er sah aus, als wäre er entweder chronisch gelangweilt oder kurz vor dem Einschlafen. Ein übergewichtiger Anwalt befragte gerade einen Zeugen. Thomas zweifelte, ob der Richter bei dem dumpfen Getöse der Ventilatoren überhaupt etwas von der Aussage mitbekam.
Als Anwalt und Zeuge ihren Wortwechsel schließlich beendet hatten, entließ der Richter den Anwalt mit einem leichten Fingerschnippen und wandte sich dem nächsten wartenden Anwalt zu. Nach zwei weiteren Fällen blickte sich Adrian nach Thomas um und nickte ihm zu. Gemeinsam mit der Staatsanwältin stand er auf, während der Verteidiger seinen Platz am Podium einnahm.
Die Staatsanwältin plädierte mit leidenschaftlichen Worten an den Richter, dem Antrag auf Freilassung gegen Kaution im Fall von Suchir, Sumeera und Prasad nicht zuzustimmen. Sie erklärte dem Gericht, dass es sich bei Ahalya um eine Minderjährige handle und auch drei von den bereits volljährigen Mädchen des Bordells um Betreuung durch das Jugendamt gebeten hätten. Adrian flüsterte der Staatsanwältin eine Reihe zusätzlicher Punkte zu, die sie anschließend dem Richter übermittelte.
Nachdem sie ihr Plädoyer abgeschlossen hatte, wandte sich der Richter an den Verteidiger, einen kleinen Mann mit einem dichten schwarzen Haarschopf. Er sprach eine ganze Weile über den unfairen Ablauf der Razzia, bei der auch »imperialistische Interessen der Vereinigten Staaten« eine Rolle gespielt hätten, und kritisierte außerdem die Unfähigkeit der Polizei von Nagpada. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass man bei keinem der Mädchen das Alter überprüft habe und es lediglich auf Hörensagen beruhe, dass Ahalya noch unter achtzehn sei. Außerdem behauptete er, Suchirs Geständnis bezüglich Sitas Verschwinden sei dem Bordellbesitzer unter Zwang abgenötigt worden. Der Verteidiger wusste sich auszudrücken und spann ein derart dichtes Netz aus Zweifeln und unterschwelligen Anschuldigungen, dass der Richter der Staatsanwältin schon nach kurzer Zeit böse Blicke zuwarf.
Thomas machte sich keine falschen Hoffnungen. Ihm war sofort klar, dass Suchir freikommen würde.
Tatsächlich setzte der Richter für Suchir eine Kaution in Höhe von zehntausend Rupien fest. Im Fall von Sumeera und Prasad beschränkte er sich auf je fünftausend Rupien.
Kopfschüttelnd gab Adrian Thomas ein Zeichen, ihm hinaus auf den überfüllten Gang zu folgen, wo sie sich nebeneinander an ein offenes Fenster stellten.
»Die werden das Geld noch heute Nachmittag bezahlen«, meinte Adrian mit missmutiger Miene. »Dieser Richter ist ein widerwärtiger Kerl. Er hört der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht zu.«
»Wie geht es denn nun weiter?«, fragte Thomas.
»Wir
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