Du bist in meiner Hand
Schließlich habe ich mich für dich entschieden, falls du dich erinnerst. Und zwar gegen seinen ausdrücklichen Wunsch. Ich habe vier Jahre meines Lebens für dich aufgegeben.«
Ihre Worte trafen ihn sehr. Er atmete tief durch. »So siehst du das also?«, fragte er dann leise. »Mich zu heiraten war für dich ein Opfer?«
Ihre Augen glänzten plötzlich feucht. »Es war die schwierigste Entscheidung meines Lebens.«
»Aber bereust du sie? Falls ja, dann gehe ich jetzt auf der Stelle!«
Priya wandte den Blick ab und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Bier.
»Was ist das?«, fragte sie plötzlich und deutete auf sein Handgelenk.
Er sah, dass der Rand von Ahalyas Armband unter seiner Hemdmanschette hervorlugte. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, stellte er fest.
Sie sah ihn herausfordernd an. »Ich beantworte die deine nur, wenn du vorher meine beantwortest.«
Er zeigte ihr das Armband. »Das Mädchen, das wir aus dem Bordell gerettet haben, hat es mir geschenkt.«
»Erzähl mir davon«, sagte sie, plötzlich neugierig.
Er versuchte sich kurz zu fassen, doch damit gab Priya sich nicht zufrieden, also erzählte er ihr die Geschichte mit sämtlichen Einzelheiten über die Razzia, Ahalyas Konfrontation mit Sumeera in der Bordell-Lobby, seinen Besuch im Ashram, das Foto von Sita und die Übergabe des Armbands.
Als er fertig war, sah sie ihn mit ernstem Blick an. »Weißt du eigentlich, was das bedeutet?«
»Was?«, fragte er leicht entnervt. »Ich habe ihr versprochen, dass ich das Foto an Andrew Porter vom Justizministerium schicke, und das habe ich heute Abend getan. Mehr kann ich nicht machen. Ich wüsste gar nicht, wo ich da anfangen sollte.«
»Du hast also noch nie etwas von einem Rakhi -Armband gehört?«
»O nein! Ist das irgendwas Gruseliges?«
»Könntest du deine Witzeleien bitte mal lassen? Es geht hier um etwas sehr Ernstes!«
»Tut mir leid.« Er hob entschuldigend die Hände. »Eine schlechte Angewohnheit von mir.«
»Es handelt sich dabei um eine indische Tradition, die Tausende Jahre zurückreicht«, sagte sie. »Eine Frau schenkt einem Mann ein Armband für sein Handgelenk. Das Armband bedeutet, dass der Mann ab diesem Zeitpunkt ihr Bruder ist. Als solcher hat er die Pflicht, sie stets zu verteidigen.«
»Das ist jetzt ein Witz, oder?«
»Ganz und gar nicht«, entgegnete Priya, die sein Unbehagen genoss. »Der Legende nach hat die Frau von Alexander dem Großen ihrem Ehemann mit einem solchen Rakhi -Armband das Leben gerettet. Sie verschenkte eines an König Porus, während Alexander im Punjab seine Fehlschläge erlitt. Porus hätte die Gelegenheit gehabt, Alexander auf dem Schlachtfeld zu töten, aber aufgrund des Versprechens, das mit dem Geschenk einherging, verschonte er ihn.«
Thomas berührte das bunte Band. »Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Ich bin doch nicht James Bond, sondern nur ein kleiner Anwalt, der für eine gemeinnützige Organisation arbeitet. Wenn schon die Polizei und das CBI sie nicht finden können, wie stehen da wohl meine Chancen?«
»Eher schlecht«, räumte Priya ein.
»Ich würde sagen, sie gehen gegen null.«
»Sei nicht so pessimistisch. Vielleicht landest du ja einen Glückstreffer.«
»Solche Glückstreffer gibt’s nur im Kino, nicht im wahren Leben.«
Priya sah ihn an und wurde wieder ernst. »In meinem Leben hat es einen gegeben.«
Ihm dämmerte, dass sie damit seine Frage beantwortet hatte. »Heißt das, ich darf dich wiedersehen?«, fragte er.
Sie lächelte. »Heißt das, du wirst das Versprechen, das du Ahalya gegeben hast, ernst nehmen?«
»Ein Tauschgeschäft. Damit kann ich leben.«
Sie hob ihr Bier. »Einen Trinkspruch.«
»Worauf?«
»Auf die Wunder im wahren Leben.«
Thomas stieß mit ihr an. »Auf die Wunder im wahren Leben. Möge Sita Ghai wie durch ein Wunder wieder auftauchen.«
16
Nichts ist gefährlicher als die Illusion.
RALPH WALDO EMERSON
Paris – Frankreich
Eines Abends Ende Januar war Sita in der Küche gerade damit beschäftigt, Ordnung in den Schrank mit den Putzsachen zu bringen, als ein gut gekleidetes Paar das Lokal betrat. An dem Abend war nicht viel los gewesen, im Gastraum saßen nur einige wenige Gäste. Durch einen Türspalt sah Sita, wie Onkel- ji das Paar begrüßte und die beiden an einen Ecktisch führte. Der Mann war untersetzt, hatte ein kantiges, zerfurchtes Gesicht und trug sein Haar kurz geschoren. Seine Begleiterin war eine attraktive, hellhäutige Blondine. Sita
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