Du bist in meiner Hand
herumgetragen?« Auch Thomas klang überrascht.
»Versteckt in meiner Kleidung«, antwortete Ahalya lapidar.
Thomas betrachtete das Foto. Aus dem Gesicht von Ahalyas Vater sprach eine sympathische Mischung aus Freundlichkeit und Intelligenz, und ihre Mutter war eine hübsche Frau mit braunen, sanften Augen. Dass die beiden sich sehr zugetan waren, merkte man an der Art, wie sie sich aneinanderlehnten und ihre Töchter zu sich ins Zentrum des Bildes zogen. Die Schwestern hielten sich an den Händen und sahen aus, als hätten sie kurz vorher gelacht.
»Kann ich das mitnehmen?«, fragte Thomas.
»Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass ich es wiederbekomme.«
»Natürlich.«
»Wird es Ihnen helfen, Sita zu finden?«
Thomas sah Ahalya einen Moment nachdenklich an. »Ich werde das Foto meinem Freund in Washington mailen. Es gibt eine Internationale Datenbank für vermisste Kinder. Ich werde ihn bitten, das Foto mit Sitas Namen in diese Datenbank aufzunehmen.«
»Wirklich?«, fragte Ahalya ungläubig.
»Das ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann.«
Wieder musterte Ahalya ihn. Dann tat sie etwas, womit Thomas nie gerechnet hätte: Sie nahm ihr Armband ab, das aus lauter feinen Fäden in den Farben des Regenbogens gewoben war, und kniete sich damit vor Thomas hin.
»Das hat Sita für mich gemacht«, erklärte sie, während sie es ihm ums Handgelenk band. »Bitte geben Sie es ihr, wenn Sie sie finden.«
Thomas war völlig perplex. Am liebsten hätte er die Verantwortung, die mit dem Armband einherging, weit von sich gewiesen. Mädchen, die in der Unterwelt verloren gingen, wurden so gut wie nie gefunden, und wenn doch, hatten sie in der Regel zu großen Schaden davongetragen, um noch ein normales Leben führen zu können. Doch das Band befand sich bereits an seinem Handgelenk. Er hatte es nicht gewollt, sah nun aber keine Möglichkeit mehr, sich aus der Affäre zu ziehen.
»Ich werde mein Möglichstes tun«, erklärte er, »aber ich kann dir nichts versprechen.«
»Versprechen Sie mir nur, dass Sie es versuchen werden«, antwortete Ahalya.
Er holte tief Luft. »Ich werde es versuchen.«
Zum ersten Mal an diesem Nachmittag lächelte Ahalya.
Nach der Arbeit ließ sich Thomas von einer Rikscha zurück zur Wohnung von Dinesh bringen, der noch nicht zu Hause war. Er setzte sich mit seinem Laptop an den Küchen tisch und holte eine kleine Digitalkamera aus seinem Koffer. Dann legte er Ahalyas Foto auf den Tisch, machte eine Aufnahme davon und lud die Datei auf seinen Computer. Mit einem Fotobearbeitungsprogramm schnitt er das Bild zu, bis der Ausschnitt nur noch Sita zeigte. Anschließend schrieb er eine Mail an Andrew Porter und hängte das zugeschnittene Foto an. Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, fühlte er sich sehr erleichtert. Nun waren die Profis an der Reihe, mehr konnte er nicht tun.
Bei der Gelegenheit schaute er auch gleich noch in seinen Posteingang, weil er hoffte, dass Priya endlich auf eine der drei Mails geantwortet hatte, die er ihr seit dem Debakel bei der Mendhi -Zeremonie ihrer Cousine geschickt hatte. Das Ganze war nun schon zwei Wochen her, und er hatte seitdem nichts von ihr gehört. Wenn er an jenen Abend dachte, empfand er immer noch eine Mischung aus Wut und Hilflosigkeit. Der Professor hatte ihn auf eine höchst ungerechte Art abserviert.
Als er nun die Liste mit den Eingängen durchsah, konnte er Priyas Namen wieder nicht entdecken. Rasch überflog er ein paar Nachrichten von Freunden aus Washington. Er war so plötzlich verschwunden, dass einige Leute sich langsam Sorgen machten. Um sie zu beruhigen, schrieb er ihnen ein paar flüchtig hingeworfene Zeilen, verriet dabei aber nichts über seinen Aufenthaltsort. Irgendwann würde er ihnen genauer Bericht erstatten, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Er wollte seinen Computer gerade wieder herunterfahren, als ganz oben auf der Liste eine neue Nachricht auftauchte. Er traute seinen Augen kaum. Diese Frau gab einfach nicht auf. Er klickte die Nachricht an. Tera hatte geschrieben:
Thomas, nun ist schon über ein Monat vergangen, und in der Firma hat niemand etwas von dir gehört. Ich mache mir allmählich Sorgen. Dabei sage ich mir die ganze Zeit, dass ich endlich einen Schlussstrich ziehen und dich in die Schublade mit all den anderen Mistkerlen stecken sollte, die mal schnell mit einer Frau ins Bett springen und ihr dann den Laufpass geben. Aber so bist du nicht. Irgendetwas ist passiert. Bitte lass mich
Weitere Kostenlose Bücher