Du bist mein Stern
die an der Bar sitzen und an ihrem Bier nippen, gucken mich vage interessiert an. »Er ist vor ungefähr zehn Minuten gegangen«, fährt der Wirt fort.
»Wo ist er denn hingegangen?« Mir wird ganz schwindlig von dem Adrenalin, das plötzlich durch meinen Körper schießt.
»Keine Ahnung. Ich musste ihn auffordern zu gehen«, antwortet er vielsagend, und ich sehe ihm am Gesicht an, dass er Johnny regelrecht vor die Tür gesetzt hat.
»Bitte sagen Sie niemandem, dass er hier war«, flehe ich.
»Wieso zum Teufel sollte ich das tun?«, spottet er. »Der ist doch nicht berühmt, oder?« Er bemerkt meinen Gesichtsausdruck. »Oder doch?«, fragt er skeptisch.
»Nein, natürlich nicht!«, rufe ich, renne auf die Straße raus, sehe nach links und rechts, entscheide mich dann für rechts und eile wieder in Richtung Ufer. Ich laufe zum Strand runter und spähe in die Dunkelheit. Die Kirmesbuden im Hintergrund sind verlassen, und die Spielhallen und Eisdielen haben über Weihnachten geschlossen. Wellen brechen sich hart am Strand, und es fängt an zu regnen. Kann diese Nacht noch schlimmer werden? Nein, ich will gar keine Antwort.
Und dann sehe ich ihn.
»Johnny!«, rufe ich, aber meine Stimme wird von den Elementen verschluckt. Er läuft im Zickzack über den Fußweg oberhalb von mir. Ich sprinte die Stufen hoch und hinter ihm her.
»Johnny!«, schreie ich noch mal. Er dreht sich langsam um, sieht mich und bleibt schwankend stehen. »Oh, was hast du nur gemacht?«, rufe ich verzweifelt.
»Brauchte Kippen«, lallt er und zieht mit aller Kraft an einer, die schon längst zu einem Stummel abgebrannt ist. »Die lassen einen drinnen nicht mehr rauchen. Total bescheuert.«
»Komm!« Ich nehme seinen Arm.
Es dauert ewig, und ich bin nass und friere, aber schließlich schaffen wir es zum Haus zurück. Ich hab das Gefühl, dass Oma sich im Grab umdrehen würde, wenn sie mich so sehen könnte. Sie hat mich immer sehr behütet.
In mir steigen wieder Selbstzweifel hoch. Bin ich verrückt, wenn ich glaube, dass ich ihm helfen kann? Soll ich ihn nach London zurückbringen?
Nein, Meg, halte durch.
Ich bekomme ihn gerade noch ins Wohnzimmer bugsiert, dann bricht er zusammen. Ich heule fast vor Wut aber ich versuche, ihn von seinen nassen Klamotten zu befreien. Dann schalte ich das elektrische Kaminfeuer ein und hole von oben ein paar Decken. Es ist aussichtslos, allein kriege ich ihn niemals die Treppe hoch. Und tatsächlich weiß ich, dass ich meinen gesamten Plan überdenken muss.
Als er endlich spät am Weihnachtsmorgen aufwacht, hab ich schon unsere gepackten Koffer und seine Gitarre im Flur bereitgestellt.
Vor Jahren, als ich ungefähr zehn und Susan gerade ausgezogen war, um zu studieren, hatten meine Eltern mich mal in ein Cottage in einem abgelegenen Teil der Yorkshire Dales mitgenommen. Das habe ich jetzt mit Hilfe meines Handys im Internet gesucht und auch gefunden. Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, dass es zu dieser Jahreszeit frei sein würde, aber gehofft, die Eigentümer könnten mir ein anderes Haus in der Nähe empfehlen. Und zu meiner Verblüffung war mir am Telefon erklärt worden, dass es nicht vermietet wäre und ich die Schlüssel in ein paar Stunden abholen könnte. Wenigstens ein bisschen Glück, endlich.
»Komm schon, steh auf!«, dränge ich, als Johnny sich rührt.
»Wo bin ich?«, ächzt er.
»In Scarborough, Johnny. Im Haus meiner Großmutter«, erinnere ich ihn ungehalten.
»Ich fühl mich beschissen.«
»Kein Wunder bei dem, was du gestern getrunken hast. Frohe Scheißweihnachten, Chef. Danke, dass du dein Wort so super gehalten hast.«
Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an und scheint sich plötzlich daran zu erinnern, was passiert ist. »Ups«, macht er und greift sich an den Kopf.
»Das ist unfair, Johnny. Wenn dir irgendwas passiert wäre … Es wär schon schlimm genug, wenn du ein ganz normaler Freund von mir wärst, dem ich durch eine Krise helfe. Wenn du dann von einer Klippe stürzen oder im Meer ertrinken würdest, dürfte ich dich wenigstens in Frieden betrauern. Aber wenn
dir
was zustoßen würde, dann würde die ganze gottverdammte Welt davon erfahren, und ich wäre dafür verantwortlich.«
»Sei nicht so melodramatisch, Meg. Ich wollte mich ja nicht umbringen.«
»
Wag
es bloß nicht, mich melodramatisch zu nennen, Johnny!« Jetzt bin ich wütend. »Ich hab mich für dich in eine ganz schön prekäre Lage gebracht!« Und nach einer Pause füge ich hinzu:
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