Du bist mein Stern
geht’s nicht so gut deswegen, das ist alles.«
»Das tut mir leid. Kann ich irgendwas tun?«
»Nein. Ich möchte nur ein bisschen allein sein.«
»Na klar, na klar.« Er lässt abrupt meinen Arm los. »Wann ist die Beerdigung?«, fragt er.
»Übermorgen.« Ich erkläre ihm rasch, dass ich nicht vorhabe hinzufahren.
»Bist du sicher?«
»Ja, bin ich.«
Ich lege meine Hand auf die Türklinke, sehe ihn an und warte darauf, dass er einen Schritt zur Seite tritt. Was er auch tut. Dann mache ich die Tür auf und gehe in den hellen Flur hinaus.
Als wir über eine Woche später in Paris ankommen, hat sich Johnnys Verhalten deutlich verschlimmert. Vor einigen Tagen, nachdem wir in Madrid gespielt hatten, bin ich morgens in sein Zimmer gegangen, um ihn zu wecken. Er war nicht ansprechbar. Es lagen zwei Mädchen in seinem Bett, die ebenfalls nicht ansprechbar waren, und irgendjemand hatte in eine Ecke des Zimmers gekotzt. Der ganze Raum stank. Ich hatte ihm am Nachmittag des vorhergehenden Tages versprechen müssen, ihn um zehn Uhr aus dem Bett zu werfen, weil er sich eine Kunstgalerie ansehen wollte, die mittags zumachte.
Ich bin eine Minute lang mit klopfendem Herzen am Fuße seines Bettes stehen geblieben und dann zurück auf mein Zimmer gegangen, um ihn stattdessen anzurufen. Nach dem dritten Klingeln nahm er schlaftrunken ab.
»Warum weckst du mich?«
»Du hast gestern gesagt, dass du heute in diese Galerie gehen willst … «
»Nein.« Er stöhnte. »Will lieber schlafen.«
Ich hab ihn dann den ganzen Tag nicht gesehen. Ich habe ihn noch zweimal angerufen, aber er hat mir jedes Mal erklärt, er müsse schlafen.
Jetzt sind wir in Paris, und er ist wieder völlig überdreht. Er gibt zwei Konzerte im Stade de France – das erste war gestern Abend, das nächste ist morgen –, und danach überqueren wir den Ärmelkanal, um Manchester, Newcastle, Glasgow, Dublin, Cardiff und London zu machen.
Wir sind in einem schönen alten Fünf-Sterne-Hotel in der Nähe der Champs-Élysées untergebracht, und ich habe den Abend vor dem morgigen Konzert frei. Meine Eltern sind von Grasse im Süden hierhergekommen, um mich zum Abendessen im Centre Pompidou zu treffen. Meine Mutter erzählt mir gerade von Omas Beerdigung.
»Waren Susan und Tony da?« Tony ist der Mann meiner Schwester.
»Natürlich«, antwortet Mum, bevor ihr bewusst wird, dass das vielleicht ein bisschen unsensibel klingt, da ich ja nicht dabei sein konnte.
»Ich wette, sie war sauer, dass ich nicht gekommen bin«, grummele ich und gucke aus dem Fenster auf die Innenstadt von Paris, die sich unter uns erstreckt. Es ist nass und windig heute Abend, aber ich kann den Eiffelturm in der Ferne gerade noch erkennen.
»Sie hat gesagt, du hättest seit Monaten nicht mit ihr gesprochen.« Mums Stimme ist ganz ernst.
Dad fingert an der Glasvase in der Mitte des Tisches rum, in der eine einzelne langstielige Rose steht. Er hasst Familienstreitigkeiten, und meine Schwester und ich haben eigentlich dauernd damit zu tun.
»Hattest du nicht gesagt, du wolltest sie anrufen?«, fährt Mum fort.
»Sie hat mich ja auch nicht angerufen«, schimpfe ich.
»Ihr nehmt euch beide nichts«, beschließt Mum und beendet das Gespräch, indem sie zur Speisekarte greift und dahinter verschwindet.
»Hat denn irgendwer irgendwas gesagt, weil ich nicht da war?«, hake ich noch mal nach. Ich erhoffe mir irgendwas, das meine Schuldgefühle mindert, aber mir wird klar, dass wahrscheinlich der gegenteilige Effekt eintreten wird.
»Alle hatten Verständnis dafür«, versucht Mum mich zu beruhigen. Aber es funktioniert nicht. Ich studiere schlechtgelaunt die Speisekarte.
»Ganz schön schick, das Restaurant, was?«, versucht Dad das Thema zu wechseln.
Ich betrachte die riesigen runden Aluminium-Gebilde, die im Raum verteilt sind. Sie sehen aus wie aus einer anderen Welt, außen silbern und innen leuchtend bunt. Das, welches uns am nächsten steht, ist innen gelb und beherbergt einen Tisch mit lauter fröhlichen Gästen, die aus großen Weingläsern trinken.
»Was passiert denn jetzt mit ihrem Haus?« Ich lenke meine Aufmerksamkeit zurück zu Oma.
»Wir werden es vermieten«, erklärt Dad mir.
Mir gefällt die Vorstellung nicht besonders, dass fremde Leute im Haus meiner Großmutter wohnen werden, und ich sage es meinen Eltern auch gleich.
»Wie fändest du’s denn, wenn wir es verkaufen würden?«, fragt Dad, als der Kellner mit unseren Drinks kommt.
»Noch schlimmer«, gebe ich
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