Du bist nie allein
Romanellos Aufbruch saßen Julie und Mike immer noch am Küchentisch. Mike schlürfte ein Bier, aber Julie trank nichts. Eben hatte sie ein Glas Wein in den Ausguss gekippt, weil ihr davon übel wurde. Sie stierte wortlos vor sich hin, und obwohl sie müde wirkte, hütete sich Mike, ihr vorzuschlagen, ins Bett zu gehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie bald Schlaf finden würde.
»Hast du Hunger?«, fragte er endlich.
»Nein.«
»Wollen wir einen Film ausleihen?«
»Nein.«
»Also, ich habe eine Idee«, sagte Mike. »Wir könnten hier hocken bleiben und uns schweigend anstarren. Und damit es nicht so langweilig wird, sollten wir uns nebenher noch ein paar Sorgen machen. Ich meine, irgendwie müssen wir ja schließlich die Zeit rumkriegen.«
Da endlich lächelte Julie.
»Du hast Recht«, sagte sie. Sie griff nach seinem Bier und trank einen kleinen Schluck. »Langsam reicht’s mir auch.«
»Also, was kann ich für dich tun?«
»Kannst du mich vielleicht einfach in den Arm nehmen?«, fragte sie, stand auf und ging zu ihm hinüber.
Mike stand auf und legte die Arme um sie. Er zog sie ganz eng an sich, bis er ihre Körperwärme spürte. Julie schmiegte den Kopf an seine Brust.
»Ich bin froh, dass du hier bist«, flüsterte sie. »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.«
Bevor Mike etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Die beiden erstarrten, lösten sich jedoch nicht aus ihrer Umarmung. Auch nicht, als es ein zweites Mal klingelte.
Dann ein drittes Mal.
Schließlich ließ Mike Julie los.
»Nicht!«, schrie Julie mit ängstlichem Blick.
Es klingelte ein viertes Mal.
Mike beachtete sie nicht. Er ging ins Wohnzimmer und hob den Hörer ab.
»Hallo?«, sagte er.
»Oh, hi. Ich dachte schon, ihr wärt nicht da«, sagte die Stimme am anderen Ende, und Mikes Anspannung löste sich.
»Oh, hallo, Emma«, sagte er lächelnd. »Wie geht’s?«
»Gut, danke«, sagte Emma. »Aber hör zu, ich bin gerade in Morehead City, und du wirst nicht glauben, wen ich hier gesehen habe.«
Julie kam ins Zimmer und stellte sich neben Mike. Er hielt den Hörer ein Stück von seinem Ohr weg, damit sie mithören konnte.
»Wen denn?«
»Andrea. Und jetzt rate mal, mit wem.«
»Nämlich?«
»Mit Richard. Und ich habe eben gesehen, wie er sie geküsst hat.«
»Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat«, sagte Julie. »Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.«
Mike hatte aufgelegt, und sie saßen auf dem Sofa, im Schein einer einzigen Lampe, die hinter ihnen brannte. Singer schlief neben der Haustür.
»Hat sie im Laufe der Woche mal was gesagt? Dass sie sich mit ihm trifft, meine ich.«
Julie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht ein Wort. Sie hat ihm neulich die Haare geschnitten, aber mehr weiß ich auch nicht.«
»Hat sie nicht mitbekommen, was du über ihn erzählt hast?«
»Bestimmt.«
»Offenbar war es ihr egal.«
»Entweder das, oder sie hat es nicht geglaubt.«
»Warum sollte sie dir nicht glauben?«
»Wer weiß. Aber ich werde morgen mal mit ihr reden.«
Richard fuhr mit Andrea zu sich nach Hause. Sie standen auf der Veranda und schauten hinauf in den Himmel. Er schlang ihr von hinten die Arme um den Bauch und ließ seine Hände zu ihren Brüsten hoch wandern. Andrea legte den Kopf zurück und seufzte.
»Ich dachte schon, du rufst nicht mehr an.«
Richard küsste ihren Hals, und sie erschauerte. Silbriges Mondlicht fiel auf die Bäume.
»Wie schön es hier draußen ist«, sagte sie. »So still.« »Schsch. Nicht reden. Lausche einfach.«
Er wollte ihre Stimme nicht hören, sie erinnerte ihn daran, dass sie nicht Julie war. Er stand hier mit einer anderen Frau, einer Frau, die ihm nichts bedeutete. Doch ihr Körper war weich und warm, und sie begehrte ihn.
»Und der Mond…«
»Schsch«, sagte er wieder.
Eine Stunde später lagen sie zusammen im Bett. Andrea grub stöhnend ihre Finger in seinen Rücken, doch jeden anderen Laut hatte er ihr untersagt. Kein Flüstern, kein Reden. Er hatte auch darauf bestanden, dass es völlig dunkel im Zimmer war.
Er bewegte sich auf ihr, spürte ihren Atem auf seiner Haut.
Julie,
hätte er gern geflüstert,
du kannst nicht ewig vor mir davonlaufen. Siehst du nicht, wie schön wir es haben könnten? Sehnst du dich nicht nach der Erfüllung, die unsere Vereinigung bringen wird?
Da aber entsann er sich ihrer Begegnung im Wald – wie entsetzt sie ihn angeschaut hatte. Er sah ihren angewiderten Gesichtsausdruck, hörte ihre abweisenden Worte. Spürte ihren
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