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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Saalfrank
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entwickeln.
Du bist o.k., so wie ich es will – Bevormundung, Ermahnung, Kritik
    Was Leas Mutter ihrer Tochter zwischen den Zeilen als Botschaft vermittelt – Du bist nur o. k., so wie ich es will –, das vermitteln wir Kindern immer wieder durch verschiedenste, manchmal auch versteckte Erklärungen und Ermahnungen. Auch durch unsere Handlungen und Reaktionen, durch Mimik, Blicke und Gesten erfahren Kinder täglich, dass sie unseren Vorstellungen und Erwartungshaltungen nicht entsprechen und dass wir unzufrieden sind mit ihnen.

Ein Vater sitzt mit seinem sechsjährigen Sohn im Speisewagen eines ICE. Er liest Zeitung, der Junge langweilt sich und beginnt Papierflieger zu bauen, durch den Waggon zu werfen und ihnen hinterherzulaufen. Der Vater unterbindet das mit den Worten: »Es gibt Kinder, die sind lieb und leise, und dann gibt es noch Kinder wie dich, die immerzu stören. Im Zug wirft man keine Papierflieger.« Der Junge hört erschrocken auf, Papierflieger zu bauen, und beginnt stattdessen zu malen. Nach ein paar Minuten stöhnt der Vater wütend auf, weil der Junge mit seinem Filzstift auf die Tischdecke gemalt hat. Er winkt den Kellner heran und zeigt ihm das »Malheur«. Als sich der Junge leise entschuldigt, fährt er ihn an: »Das nützt jetzt auch nichts mehr, die Decke ist hin.«

Eine Mutter zieht eine kleine Bürste aus ihrer Tasche und beginnt ohne weitere Ansprache ihrer vierjährigen Tochter grob das halblange Haar durchzubürsten. »Wie siehst du denn aus, so läuft man doch nicht rum!«, sagt sie ärgerlich. Das kleine Mädchen ist erschrocken, wehrt sich erst lautstark, dreht dann den Kopf weg und versucht sich aus der Umklammerung zu winden. Die Mutter ist ungehalten, mit festem Griff hält sie dem Kind den Kopf fest und flüstert etwas mit verkniffener Miene in sein Ohr. Das Mädchen hält endlich still und lässt alles über sich ergehen. Ein paar Minuten später spielt sie wieder und scheint sich vom mütterlichen Überfall erholt zu haben.

Ein Dreijähriger läuft mit seinen Eltern über einen Platz, er rennt zu einer Baustelle und bleibt begeistert davor stehen. Immer wieder zeigt er staunend auf die Maschinen. »Guck mal, Bagger!«, ruft er und dreht den Kopf zu seinen Eltern, die nun auch an der Baustelle angekommen sind. »Es heißt ›ein Bagger‹, nicht einfach nur ›Bagger‹ – da ist ein Bagger«, sagt der Vater ungeduldig und nimmt den Jungen am Arm, ohne weiter auf die Freude und die Lebendigkeit des Jungen einzugehen. »Den sehen wir doch jeden Tag, komm, wir müssen weiter, sonst kommen wir zu spät in die Kita«, sagt die Mutter seufzend, »und zu spät kommen, das darf man nicht!« Sie nimmt den anderen Arm ihres Sohnes und zieht ihn weiter.

    Diese kleinen Szenen, wie sie uns beinahe täglich auf der Straße, im Café oder im Zug begegnen, vergessen wir zumeist schnell wieder. Betrachten wir sie aber genauer, dann können wir erkennen, dass mit Ermahnungen, Kritik und Bevormundungen subtile, aber deutliche Botschaften an die Kinder gesendet werden. Bei dem Jungen im Zug kommt zwischen den Zeilen Folgendes an: Egal, was du tust, es gelingt dir nichts! Und: Du kannst es mir nicht recht machen.
    Eine fatale Botschaft, die den Jungen hier erreicht. Er wird ständig in dem Dilemma stecken, die Anerkennung und Wertschätzung seines Vaters erlangen zu wollen und gleichzeitig zu wissen, dass er ihm nie genügen und seine Ansprüche nie erfüllen können wird. Bei dem Mädchen, dem die Haare durchgebürstet werden, kommt nicht nur die Botschaft an, dass es so, wie es ist, nicht den Ansprüchen der Mutter genügt, es wird auch seine Integrität verletzt, indem die Mutter sie grob zwingt, das unangenehme, wenig liebevolle Bürsten der Haare über sich ergehen zu lassen. Die Vierjährige wird so auch in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung beschnitten. Sie verinnerlicht auf diese Weise, dass ihre Mutter Macht hat, über ihre eigenen Bedürfnisse hinwegzugehen und gewaltvoll ihren Willen durchzusetzen. Sie versteht: Meine Bedürfnisse werden nicht gesehen, sie sind nichts wert.
    Der dreijährige Junge schließlich wird nicht nur in seiner Begeisterung, die er so gern mit seinen Eltern teilen möchte, gebremst. Er wird zudem noch kritisiert und bevormundet. Die eigentliche Nachricht des Jungen ist doch: Hier bin ich! Seht ihr mich? Die Welt ist aufregend! Er möchte eine Rückversicherung, dass der Vater sein Erleben teilt und dass er ihn in seinem Sein wahrnimmt. Der Vater jedoch

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