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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Saalfrank
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Gehorsamsprinzip aufbaut, in Bildern und Versen anschaulich macht. Noch heute sind, bewusst oder unbewusst, die Vorstellungen von Hoffmann in uns verhaftet: die Idee vom »bösen« Kind, das schlecht auf die Welt kommt und sich nur dann zum Guten entwickelt, wenn es sich fürchten muss und wenn Zwang auf es ausgeübt wird. Damit einher geht unsere Angst: Wenn wir diesen Zwang nicht ausüben, wenn wir gar die Kontrolle verlieren, wird das Kind unsere Zuneigung missbrauchen. Auch vor Äußerungen negativer Gefühle, Ärger, Weinen, Konflikten insgesamt und insbesondere vor Trotzreaktionen des Kindes haben wir Angst, sehen sie mitunter sogar als bewussten aggressiven Akt der Auflehnung, deshalb versuchen wir, diese und andere negative Gefühle mit Zwang zu unterdrücken. Dieses Verhalten von Erwachsenen führt allerdings nur dazu, dass sich Trotzreaktionen verstärken. Trotzreaktionen sind ein gesunder und notwendiger Teil der Ichentwicklung von Kindern. Versucht man diese kindlichen Reaktionen durch das Verlangen nach Gehorsam zu unterdrücken, behindert man das Kind in seiner natürlichen Entwicklung.
    Auch mehr als 150 Jahre nach Hoffmann verlangen wir also noch Gehorsam. »Unsere Kinder müssen doch auf uns hören, sie brauchen doch Grenzen, Regeln und Konsequenzen«, würde Leas Mutter nun sagen und vielleicht auch der eine oder andere Leser. Brauchen sie das wirklich? Warum? Wenn man sich für einen Moment einmal vorstellt, eine ähnliche Szene würde sich unter Erwachsenen abspielen, dann wird sofort deutlich, dass daran etwas nicht stimmt.
Frau: Was? Du hast nicht aufgeräumt? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Mann: Ich hatte noch andere Dinge zu tun und bin noch nicht dazu gekommen.
Frau: Also, jetzt reicht es wirklich! Du hast dich nicht an unsere Absprache gehalten. Das geht so nicht! Das hat aber jetzt Konsequenzen für dich. Dafür darfst du heute Abend nicht mit deinen Freunden ausgehen.
    Würden Erwachsene so miteinander umgehen? Wohl kaum! Übertragen wir die Form des Umgangs mit unseren Kindern auf die Umgangsformen unter Erwachsenen, dann wirkt es unmittelbar absurd. Aber warum gehen wir dann heute noch so mit Kindern um, verletzen auf diese Weise ihre persönlichen Grenzen? Eine Erklärung ist, dass die erwarteten Äußerungen negativer Gefühle der Kinder unsere eigenen aggressiven Gefühlsanteile aktivieren, die wir dann nur mit Anstrengung unterdrücken können. Ein weiterer Grund: Wir unterliegen nach wie vor dem Glauben an die traditionelle Machtstruktur in der Familie, und weil wir unsere Macht als Eltern erhalten wollen, verlangen wir Gehorsam von unseren Kindern und wenden Methoden an, die wir selbst erfahren und durchlitten haben. Leas Mutter glaubt, dass ihre Tochter Grenzen, Regeln und Konsequenzen braucht. Sie kontrolliert, maßregelt und sanktioniert. Wie ein Gesetzeshüter, der aufpasst, dass kein Gesetz überschritten wird und keine Verfehlung ungeahndet bleibt.
    Auf diese Weise entsteht eine eher unpersönliche Beziehung, denn als Mensch wird die Mutter durch diese Form der Kommunikation nicht sichtbar für Lea. Die Mutter erscheint wenig liebevoll, obgleich sie ihre Tochter liebt. Sie fühlt sich absolut verantwortlich in ihrer Rolle als Mutter und sie möchte diese Rolle besonders gut ausfüllen. Sie glaubt, dass Mütter so sein müssen. Sie selbst hat wenig Liebevolles erfahren. Ihre eigene Erziehung war klar von der elterlichen Haltung geprägt, dass sich liebevoller Kontakt zu Kindern und konsequentes Verhalten ausschließen. Dadurch hat sie gelernt: Wer nicht konsequent ist, handelt seinen Kindern gegenüber verantwortungslos – und genau das möchte sie in ihrer Rolle als Mutter eben nicht sein.
    So folgt sie einer Methode, zu der auch die gewaltsame Durchsetzung ihrer Ziele gehört. Vielleicht wird sie auch ihr Ziel erreichen: dass Lea demnächst ihr Zimmer aufräumt. Die Botschaften jedoch, die zwischen den Zeilen bei Lea ankommen, sind: »Wer nicht hören will, muss fühlen«, »Du musst lernen, dich unterzuordnen« oder »Wenn ich etwas sage, musst du gehorchen«. Lea lernt daraus, dass ihre Mutter diejenige ist, die bestimmt und die Entscheidungen trifft, und darüber hinaus, dass ihre eigene Persönlichkeit mit dem Streben nach Autonomie und Selbstbestimmung nicht wahr- und ernstgenommen wird. Langfristig kann das dazu führen, dass sich Kinder wie Lea dann nicht zu selbstständigen, verantwortungsvollen, sondern zu unselbstständigen und angepassten Persönlichkeiten

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