Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
sich zu verstellen oder etwas leisten zu müssen, wertvoll für uns Erwachsene sind.
»Das ist doch nicht schwer«, wird der eine oder andere sicher sagen. Meine Erfahrung ist eine andere. In vielen kleinen Alltagssituationen passiert es immer wieder, dass wir Eltern eine andere Botschaft vermitteln – gerade dadurch, dass wir unbedacht Signale als Lob verpackt senden.
Ein dreijähriges Mädchen läuft über den Spielplatz, breitet die Arme zum Flieger aus und ruft zu ihrer Mutter, die auf einer Bank am Rand sitzt: »Mama, guck mal!« Die Mutter lächelt ihrer Tochter zu und ruft zurück: »Ja, toll, meine Kleine, du bist ja ein Flugzeug! Kannst du etwa fliegen? Das machst du ja ganz toll.«
Kurz darauf ist es ein fünfjähriger Junge, der seinem Vater von der Rutsche aus winkt und möchte, dass sein Vater zu ihm herüberschaut. »Hey«, ruft der Vater und legt seine Zeitung zur Seite, »das ist ja super, du kannst ja alleine rutschen! Und gleich noch mal!«
Ich habe solche Situationen auf dem Spielplatz häufig erlebt, als meine Kinder noch klein waren. Manchmal schallte es von allen Seiten: »Ja, das machst du toll! Prima, was du schon kannst!« Sogar mitten im Gespräch mit anderen Erwachsenen drehen wir Eltern den Kopf und reagieren auf die Rufe der Kinder mit lobenden, aufmunternden und bewundernden Sätzen. Kinder brauchen doch eine Rückversicherung von uns. Ja, aber in welcher Form? Ist es wirklich so großartig, wenn eine Dreijährige die Arme ausbreitet und Flugzeug spielt? Ist es Grund für überschwängliches Lob, wenn ein Fünfjähriger auf das Klettergerüst steigt oder rutscht? Nein, eigentlich nicht. Obwohl wir glauben, unsere Rückmeldung im besten Sinne der Kinder zu geben, besteht hier ein Missverständnis. Denn zunächst wollen Kinder nur in ihrem Sosein bestätigt werden und die Wahrnehmung ihrer Welt mit uns teilen. »Guck mal« heißt also nicht »Guck mal, wie toll ich bin«, sondern: »Guck mal, hier bin ich.« Das ist nicht nur auf dem Spielplatz so, vielmehr auch in zahllosen anderen Situationen in unserem Kinderalltag: wenn Kinder in der Badewanne planschen oder wir mit ihnen im Schwimmbad sind, wenn sie uns im Haushalt helfen oder wenn sie einen Turm bauen.
Wenn wir nun jedoch beständig mit lobenden Bemerkungen reagieren, verknüpfen wir das einfache Vorhandensein, das reine Dasein von Kindern mit einer scheinbar erbrachten Leistung. Die Kinder wären erst einmal nicht darauf gekommen, dass Flugzeug spielen, planschen, einen Turm bauen, helfen im Haushalt oder auch klettern besondere Leistungen sind – durch unsere Reaktion vermitteln wir ihnen jedoch genau diesen Eindruck. Kinder fühlen sich somit nicht in ihrer Existenz bestätigt, sondern bringen dies in Zukunft in Zusammenhang mit ihrem Tun. Sie verstehen: »Ich werde nicht um meiner selbst willen geliebt, sondern für eine Leistung, die ich erbringe.«
So kommt es dann dazu, dass Kinder bei nächster Gelegenheit mit einer selbst gemachten Bastelarbeit und der Frage zu uns kommen: »Hab ich das nicht schön gemacht?« Ob sie nun malen, basteln, Lego bauen, die Eisenbahn durchs Zimmer kreisen lassen oder eine Bauklötzelandschaft errichten. Sie haben sich gemerkt, dass es in unserer Rückmeldung nicht nur um sie selbst geht, sondern damit immer auch eine Bewertung ihres Tuns verbunden ist.
Kinder in diesem Sinne zu loben ist aus meiner Sicht deshalb nicht nur überflüssig, sondern auch entwicklungshemmend. Es würde völlig ausreichen, wenn die Eltern auf dem Spielplatz ein kleines Signal geben, ein Winken, ein Lachen, ein »Hallo, ich sehe dich«. Lob wird oft unbedacht als Mittel der Erziehung eingesetzt. Gerade deshalb ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass das, was wir beabsichtigen – nämlich die Kinder in ihrem Selbst zu bestärken –, dadurch, dass wir sie loben, nicht bei ihnen ankommt.
Aber welche Botschaft ist es, die Kinder bestärkt? Wenn Kinder wirklich und authentisch froh und stolz auf etwas Geleistetes sind, dann ist es folgende Botschaft, die sie stärkt: »Ich freue mich mit dir, dass du etwas geschafft hast.« Eben nicht: »Ich freue mich über dich und deine Leistung.« Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Wo wir herkommen: die Entstehung der Kindheit
Was wir heute über unsere Kinder denken, darüber, wie man mit ihnen umgehen sollte, was ihnen guttut und was sich nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkt, folgt keinem Naturgesetz. Das wird deutlich, wenn man einen Blick auf die
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