Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
hört gar nicht auf das, was sein Sohn ihm sagt, und auch nicht auf die eigentliche Nachricht, die in dessen Botschaft liegt, sondern reagiert auf ganz anderer Ebene, indem er die Form der Äußerung korrigiert und deren Grammatik verbessert. Auch die Mutter hat keinen Blick und wenig Gefühl für die Freude ihres Sohnes. So wird das Erleben des Jungen mit moralischen Zurechtweisungen und Benimmvorschriften beantwortet.
Das »man« erzieht mit
Das »man« kennen wir alle! Diese unendlich vielen Dogmen, die unser Handeln bestimmen. Auch bei Kindern wenden wir sie an: »Das macht man nicht!« ist ein immer wiederkehrender unterschwelliger Vorwurf, den Eltern ihren Kindern machen. Wir sollen uns so oder so benehmen, wir sollen uns so oder so verhalten – und warum? Und wer oder was ist dieses »man« eigentlich?
Man widerspricht seinen Eltern nicht.
Man schweigt bei Tisch.
Man tut, was einem gesagt wird.
Dieses »man« wurde früher überhaupt nicht hinterfragt, und es besaß eine ungeheure Kraft. Es stand in der Vergangenheit viel mehr im Mittelpunkt – auch wenn es selbst heute noch, oft subtil, miterzieht. Das »man« symbolisierte bestimmte Werte wie Gehorsam, Anpassung und Anerkennung von Autoritäten. Es wurde nicht infrage gestellt. Und wenn wir heute glauben, derartige absolut autoritäre Denkmuster überwunden zu haben, dann täuschen wir uns. Denn das »man« ist doch im Grundgedanken von Erziehung enthalten.
Natürlich lieben die Eltern aus den drei beschriebenen Szenen ihre Kinder – auch wenn sie sich in diesen Momenten nicht liebevoll verhalten. Meine Erfahrung ist, dass Eltern oft gar nicht beabsichtigen, derartig unterschwellige Botschaften an ihre Kinder zu senden. Dennoch kommt bei Kindern in solchen Fällen die Botschaft an: Du musst dich ändern, wenn wir dich mögen sollen!
Das Lob als Mittel zur Verstärkung für zu erbringende Leistung
»Kinder brauchen Lob!« Das ist ein Satz, den Eltern immer wieder gesagt bekommen. In manchen Ratgebern wird dem Leser die Frage gestellt: »Wie oft haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt?«. Meist sogar noch mit dem Hinweis, dass Kinder so und so viel Lob am Tag von ihren Eltern benötigen, um ein starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Aber brauchen Kinder wirklich Lob? Was bewirkt es, was geschieht zwischen den Zeilen, wenn wir unsere Kinder loben, so wie wir einen Hund kraulen, wenn er das Stöckchen gebracht hat?
Loben und belohnen – die postmoderne Bestrafung
Wenn wir Kinder loben, folgt auch häufig gleich die Belohnung. Sie ist noch immer nicht nur ein akzeptiertes Erziehungsmittel, sie gilt sogar als wünschenswert und wird von vielen Experten empfohlen (zum Beispiel in Form von Punktetafeln oder -systemen).
Wenn wir Kinder loben und belohnen, entsteht eine fragwürdige emotionale Abhängigkeit, die das Kind unselbstständig hält und daran hindert, eigene Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Wenn wir ein Kind nämlich loben oder belohnen, wenn es zum Beispiel im Haushalt hilft, vermitteln wir ihm die Botschaft: »Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir uns gegenseitig helfen.« Kinder aber streben ja genau nach dieser Verantwortung und Selbstständigkeit, die wir ihnen durch das Loben und Belohnen beschneiden. Sie wollen sich nicht für uns anziehen können, sie wollen nicht für uns Fahrradfahren lernen, sondern weil sie es aus sich heraus wollen, weil sie selbstständig werden und wie andere Kinder sein möchten. Wenn ein Kind in seiner Entwicklung für bestimmte Schritte bereit ist, wird es diese auch tun und zum Beispiel trocken werden – wir sollten ihr eigenes inneres Bedürfnis danach nicht durch Bestechung oder Belohnung des von uns erwünschten Verhaltens ersticken.
Eine Gefahr besteht zudem darin, dass sich bei einem Kind durch das beständige Loben und Belohnen die Einstellung bilden kann, dass es nichts tun müsse, wenn es keine Belohnung dafür gibt. Ein Eigentor für die Eltern, zumal die Beziehung zu unseren Kindern dann von strategischen und sachlichen Aspekten – wie in einer geschäftlichen Beziehung – geprägt ist. Die persönliche, emotionale Beziehungsebene tritt im Zuge dessen immer mehr in den Hintergrund.
Bestärken statt loben
Um ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln zu können, ist für Kinder das Erleben wichtig, in ihrer Umgebung mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen und mit ihren Gefühlen gesehen zu werden, sich akzeptiert zu fühlen und die Erfahrung zu machen, dass sie so, wie sie sind, ohne
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