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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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zwischen unseren Wohnungen hin und her. Es gab kaum eine Nacht, die wir ohne den anderen verbrachten. Wir waren verkitscht und romantisch und schrecklich ineinander verliebt. Trotz aller Nähe erfuhr er nichts von meiner Psychose. Ich hatte mich im Griff und war die Val, die er liebte, mehr war nicht nötig.
    Als Marek damit anfing, daß er meine Eltern unbedingt kennenlernen wollte, erzählte ich von einer dramatischen Scheidung, daß meine Mutter ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte und in Berlin lebt. Kontakt gleich null. Für meinen Vater galt dasselbe. Böses Blut. Er war vor Jahren verschwunden und schickte Geld, das war es.
    Ich brauchte diese Lügen, weil ich Marek nicht mit meiner Vergangenheit verbinden wollte. In Kassel war die Gegenwart, hier tickte das Jetzt. Was davor in Oldenburg gewesen war, hatte ich in einen Kleidersack gestopft wie einen Mantel, der mir zu eng geworden war. So war es besser.
    Nur die Aussetzer machten mir in diesen Monaten zu schaffen. Da ich es gewohnt war, die Nächte allein zu verbringen, war ich es auch gewohnt, die Aussetzer zu ignorieren. Jetzt war Marek an meiner Seite, und er fand das gar nicht witzig.
    Daß ich ihn in der einen Nacht angeschrien hatte und wissen wollte, wer er war, schrieb er schlechten Träumen zu. Auch, daß ich einmal am Morgen heulend unter dem Bett lag, nahm er hin. Böses Blut eben. Wir sprachen darüber, er akzeptierte meine Erklärungen. Wir liebten uns. Dann hatte ich einen sehr schlimmen Aussetzer. Ich erinnere mich nicht an die Details, nur daß es Marek zu viel wurde und er in meinen Sachen zu kramen begann. So entdeckte er mein
    Medikament und sprach mich darauf an. Ich winkte ab, ließ mir Ausreden einfallen. Marek reichte das nicht, er wollte es genauer wissen und schluckte meine Tagesdosis. Von da an gingen mir die Erklärungen aus. Ich brach eines Abends zusammen und erzählte von einer schlimmen Jugend und daß meine kaputten Nerven dazu geführt hätten, daß dieser Schmerz in meiner Zunge auftrat. Marek hatte natürlich noch nie von Glossodynie gehört. Ich gab ihm einen Kurzabriß und meine Kopien aus Fachzeitschriften und dem Internet. Das saß. Marek wurde ganz rührig. Er verstand nicht, warum ich ihm das nicht vorher erzählt hatte. Wir lagen uns in den Armen. Es ging so einfach, wir waren so verliebt, ich hätte nie gedacht, daß es so einfach gehen könnte.
    In dieser Zeit kamen sie wieder.
    Nicht sichtbar für mich, ich war ja eine der Langsamen, dennoch wußte ich, daß sie da waren. Die Atmosphäre änderte sich, die Luft schmeckte anders. Ich sah sie in Spiegelungen von Schaufensterscheiben und Autos vorbeihuschen, sah aus den Augenwinkeln schattenhafte Bewegungen und hörte Stimmen. Hoch und schrill wie ein Sender, der durch den Äther jagt und sich in Nichts auflöst. Und nie war da jemand, der gesprochen hatte. Panik, ich brach in Panik aus. War ich dabei, in eine Paranoia zu verfallen? Was geschah? Und warum hatten sie sich so lange nicht blicken lassen und tauchten jetzt plötzlich wieder auf? Hatten sie etwas vor? Was hatten sie vor?

    Das alles geschah in der vergangenen Woche. Da es niemanden gab, mit dem ich darüber reden konnte, fühlte ich mich einsam und hilflos. Ich erhöhte die Dosis meines Medika-ments, aber das brachte nichts. Für zwei Tage war ich matschig im Kopf und kam nicht aus dem Bett. Ich zwang mich nach draußen, und die Schnellen folgten mir, ihre Stimmen, ihre Schatten, mehr geschah nicht. Mein Schutzwall war also stabil, es hatte nichts mit der Psychose zu tun, aber was jetzt?
    Genau an diesem Tag kam Jennis Mail. Fast drei Jahre waren vergangen, und Jenni schrieb, daß sie meine Adresse über das Internet herausgefunden hätte und fragte, was ich davon halten würde, wenn wir uns wiedersähen.
    Wenn du wüßtest, wie sehr ich deine Hilfe brauche, schrieb ich ihr zurück.

    Jenni kam am Dienstag mit dem Zug. Ich holte sie vom Bahnhof ab und war so erleichtert, sie zu sehen, daß ich in Tränen ausbrach.
    Ihr Haar war länger, sie wirkte insgesamt reifer, beinahe älter als ich, obwohl sie ein Jahr jünger war. So vieles an ihr hatte sich verändert, daß ich nicht wußte, ob sie mich annehmen würde, wie ich war. Die unveränderte Val.
    —    Schau uns an, sagte sie nach der Umarmung, Wir sind groß geworden.
    -    Und wir sehen auch noch klasse aus, sagte ich. Jenni stellte sich in Pose und drehte sich einmal im Kreis, als sie mich wieder ansah, runzelte sie die Stirn.
    —Wieso

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