Du bist zu schnell
Streit.
- Petra fragt, ob du Jenni geschlagen hast?
- Frank, ich sagte doch, es gab keinen Streit.
- Du lügst mich nicht an?
- Nein, ich lüg dich nicht an, es ging uns gut, es ...
Ich verstumme, ich heule, ich spüre die Tränen, wie sie auf meinen Schoß fallen.
- Ich habe Angst, sage ich, und ich sage nicht, daß ich Angst um meine hebe, um meine süße Jenni habe, weil ich weiß, daß sie nicht mehr wiederkommen wird, weil sie in eine Decke eingewickelt auf einem Grundstück liegt, das uns beiden gehörte und auf dem wir unsere Kinder großziehen wollten.
-Jetzt reiß dich zusammen, Junge, das klären wir schon. Vielleicht hat sie ja jemanden getroffen. Oder es gab einen Unfall, und sie liegt im Krankenhaus. So etwas sieht man jeden Tag im Fernsehen. Hör du dich bei ihren Freunden um. Ich rede mit der Polizei.
Nachdem ich aufgelegt habe, nehme ich mir Jennis Adreßbuch vor und rufe jeden an. Wirklich jeden. Es sind an die dreißig Leute, und natürlich weiß keiner, wo Jenni steckt. Die Worte kommen lauwarm aus meinem Mund. Es ist eine Farce, es ist meine Farce, und ich bin alles andere als stolz auf sie. Val stört kein einziges Mal. Ich höre sie in der Küche und wünsche mir, daß sie hereinkommt und mich festhält.
Als ich fertig bin, ist das Telefon naßgeschwitzt und klebrig. Val sitzt am Küchentisch und liest Zeitung.
—Alles in Ordnung? fragt sie.
Ich will sagen, daß es vorbei ist, daß ich alle angerufen habe und sogar der letzte Idiot Bescheid weiß, daß ich Jenni nicht finden kann. Es ist offiziell, möchte ich rufen, die Suche ist eröffnet! Alles, was ich herausbringe, ist:
— Jenni ist jetzt wirklich tot.
Val will aufstehen, um mich zu umarmen, aber ich gehe an ihr vorbei und nehme mir ein Glas Wasser und setze mich mit an den Tisch.
- Ich brauche kein Mitleid mehr, sage ich.
Val schiebt die Zeitung von sich. Wir sehen uns an. Ich müßte erleichtert sein, die Farce lebt, ich habe sie in Gang gesetzt und bin nicht mehr verantwortlich für sie. Ich spüre keine Erleichterung, da ist nur ein hohles Gefühl, denn es gibt ab diesem Moment niemanden mehr, vor dem ich so tun könnte, als würde Jenni jeden Moment durch die Tür kommen.
Während Val versucht, Marek zu erreichen, packe ich ein paar Sachen ein und schaue nach der Post. Vier Briefe sind für Jenni. Ich drehe sie in den Händen, unschlüssig, was ich
mit ihnen anfangen soll. Ich lasse sie auf dem Schreibtisch hegen und stecke eine Rolle Kinokarten für die Fahrer ein. Das Gespräch mit Jennis Vater hat mich so sehr ins Schwitzen gebracht, daß ich ein zweites Mal duschen muß. Als ich das Bad verlasse, sitzt Val noch immer im Wohnzimmer, telefoniert aber nicht mehr.
— Können wir? frage ich.
Sie reagiert nicht, ihre Augen sind geweitet.
— Ist irgendwas passiert?
Sie blickt auf, schüttelt den Kopf.
— Ich ...
Sie räuspert sich.
-... ich habe ihn nicht erreicht, aber ich wollte ihn unbedingt sprechen, bevor wir rausfahren, also habe ich ...
Sie sieht zum Telefon, sieht mich wieder an.
-... im Büro angerufen. Er wollte ja bei Gerald sein. Wegen der Konferenz, er wollte vermeiden, daß die Kunden noch im Januar mit...
Val verstummt.
- Unwichtig, sagt sie nach einer Pause, Auf jeden Fall habe ich Gerald erreicht. Seine erste Frage war, wann Marek endlich zurückkommen würde.
Val zieht die Beine auf das Sofa und legt die Arme um ihre Knie.
- Gerald sagt, er hat seit letztem Mittwoch nichts mehr von Marek gehört.
- O Scheiße, rutscht es mir heraus.
Ich setze mich auf den Rand des Glastisches.
—Wieso sollte er...
Ich weiß nicht, was ich fragen will.
- Er hat gelogen, sagt Val, Er hat uns angelogen.
— Aber warum?
Val hält sich beide Hände vor den Mund, Tränen treten ihr
in die Augen. Als sie die Hände wieder herunternimmt, sagt sie beinahe flüsternd:
- Ich habe es geahnt, Theo, ich wußte, daß da was nicht stimmt. Ich habe es geahnt.
2
Sechs Stunden sind vergangen, und ich bin sehr verwirrt. Wir sind auf dem Bauernhof, das Holz ist entladen und im oberen Stockwerk. Die Dämmerung hat sich über die verschneite Landschaft gelegt, als würde all das Weiß sie stören. Die Scheite im Kamin sind zu einer Schicht Glut heruntergebrannt, und eben war ich im Schuppen und habe Holz gehackt. Keine Ahnung, was ich mein ganzes Leben lang in der Stadt getrieben habe, wenn das hier mein Zuhause ist.
Ich
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