Du bist zu schnell
Klingeln nicht. Ist ja groß da drinnen. Sollen wir denn schon mal mit dem Entladen anfangen? Wir wissen ja nicht, wohin das alles gehen soll, aber wenn Sie uns mal die Tür aufmachen, dann---
— Moment mal, unterbreche ich und stehe auf, Welche Lieferung ist das?
— Douglasie, ganz feine Sache. Haben Sie doch bestellt? Ich habe hier den Lieferschein und da ...
Während er redet, suche ich auf meinem Schreibtisch nach dem Kalender. Der Montag ist eingekreist. DIELENLIEFERUNG. 11 UHR.
-Hallo?
- Bin noch dran.
- Entschuldigen Sie, mir ist da was dazwischengekommen. Ich ... Ich bin noch in Oldenburg. Wie lange sind Sie noch da draußen? Ich könnte in einer Dreiviertelstunde bei Ihnen sein.
Ich höre Berghoff mit jemandem im Hintergrund sprechen und möchte mich ohrfeigen. Wie konnte ich die Lieferung nur vergessen? Eine bessere Frage ist, was will ich mit den Dielen anfangen? Als ob ich alleine aufs Land ziehen würde.
— Hören Sie, meldet sich Berghoff wieder, Machen Sie sich mal keinen Streß, wir haben hier in der Umgebung noch zwei Termine, dann ist Mittag, und danach kommen wir noch mal vorbei und erledigen das in einem Rutsch. Was sagen Sie dazu? Sind Sie einverstanden? Sagen wir gegen zwei? Ist zwei für Sie in Ordnung?
- Danke. Vielen Dank. Bis um zwei.
Ich stütze mich mit beiden Händen auf den Schreibtisch und atme tief durch. Es gibt Dinge, die für andere unbedeutend sind, mich aber völlig schaffen. Zuspätkommen und Termine vergessen stehen an oberster Stelle. Ich weiß nicht, wo ich das herhabe. Es sitzt tief und ist mir gnadenlos peinlich. Ich kann riechen, wie verschwitzt ich wegen des Anrufs bin, und beschließe, erst einmal zu duschen. Nachher werde ich einen Kasten Bier für die Fahrer besorgen.
- Schenk ihnen doch ein paar Freikarten, schlägt Val vor, als ich ihr nach der Dusche davon erzähle.
— Meinst du, sie gehen ins Kino?
— Wenn nicht sie, dann ihre Frauen oder Kinder. Wann mußt du denn dort sein?
- Um zwei. Ich fahre um kurz nach eins los und bin gegen sechs wieder zurück.
- Nimmst du mich mit?
Ich lache.
- Das meinst du nicht ernst, oder? Da draußen ist nicht viel. Es gibt kein Fernsehen, kein Telefon und keine Nachbarn. Die Toilette funktioniert zwar, aber zum Spülen muß man einen Eimer Wasser nachkippen. Von acht Räumen ist nur das Erdgeschoß fertig. Der Rest hat kahle Böden mit Lattengestellen, auf denen die Dielen fehlen.
— Habt ihr einen Kamin?
Sie sagt ihr, und ich verspüre einen Stich. Ja, wir. Jenni bestand darauf, daß ich das Wohnzimmer samt Kamin als erstes fertig habe. Die paar Nächte, die sie mit draußen war, verbrachten wir auf Schaffellen vor dem Feuer. Es fiel uns danach schwer, in unsere kleine Wohnung nach Oldenburg zurückzukehren.
— Wir haben einen Kamin, sage ich, Einen von diesen schwedischen mit Glasscheibe in der Tür. Davorzusitzen ist besser als jedes Fernsehprogramm.
Val grinst mich an.
— Okay, wenn du mitkommst, bleiben wir bis morgen nachmittag. Du hast da draußen deine Ruhe, und ich kann versuchen, ein paar von den Dielen zu verlegen.
- Ich helfe dir, sagt Val, Ich hatte früher im Basteln eine Eins, du wirst dich wundern. Außerdem bin ich sehr gespannt, was ihr euch da aufgebaut habt. Jenni hat so viel von dem Hof erzählt. Dort draußen muß es jetzt phantastisch sein. All der Schnee und die Einsamkeit.
Ich lache, ihr Enthusiasmus ist ansteckend.
— Du ziehst dich am besten warm an, wir haben nur den Kamin. Und versuch, Marek vorher zu erreichen, damit er weiß, wo wir sind.
Val sieht zum Telefon.
- Bevor wir aber irgendwas machen, sagt sie und knöpft ihr Hemd auf, Wird es Zeit, daß du die Mumie befreist.
Im Badezimmer setzt sie sich auf einen Hocker, und ich löse als erstes denVerband um ihren Bauch. Die Schnitte verheilen gut. Val betrachtet sich im Spiegel und will keinen neuen Verband.
- Heb mal die Arme.
Der Schriftzug unter ihren Armen ist angeschwollen und sticht rot von der blassen Haut ab. Als ich ihn berühre, zuckt Val zusammen.
- Du wirst unbewußt daran rumscheuern, laß mich zumindest diese Stellen verbinden.
- Nur die Arme?
- Nur die Arme.
Während ich sie verbinde, kann ich ihr Haar riechen. Es war komisch, Val gestern nacht im Arm zu halten. Fremd und doch vertraut. Und ich muß zugeben, ich fühlte mich besonders, weil ich es war, der ihr die Angst
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