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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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nahm. Da zieht sich mein Magen zusammen. Wann habe ich Jenni jemals die Angst genommen? Es muß etwas Besonderes sein, jemandem seine Ängste zu nehmen. Ein Beweis, eine Bestätigung.
    -    Stimmt was nicht?
    Val sieht mich von unten her an. Ich schüttle den Kopf und konzentriere mich wieder auf denVerband.

    Seit der letzten Nacht ist etwas in mir in Bewegung geraten. Waren meine Gedanken um Jenni vorher hastig und unscharf gewesen, sind sie jetzt sehr präzise und so deutlich, daß ich das Gefühl habe, ich bräuchte bloß die Hand auszustrecken und könnte Jenni berühren.
    Kleinigkeiten halten mich auf, unzählige Details lassen mich taumeln. Ich könnte vor fast jedem Gegenstand in der Wohnung stehenbleiben und mir seine Geschichte in Erinnerung rufen. Es reicht schon, daß ich in der Küche alltägliche Handgriffe erledige. Aus den Augenwinkeln beobachte ich Umrisse — Jenni, wie sie am Tisch sitzt; Jenni, wie sie im Türrahmen lehnt oder sich anschleicht. Dann kneife ich die Augen zusammen und mache weiter mit dem, was ich gerade getan habe. Ich sehe mich nicht um, ich weiß, daß da nichts ist.

    — Danke, daß du Jenni zu mir gebracht hast, sage ich, als wir gerade dabei sind, eine Einkaufsliste zusammenzustellen.
    Val sieht mich an, als hätte ich einen Witz gemacht.
    -    Ich meine das genau so, wie ich es gesagt habe. Hätte ich auf Umwegen von ihrem Tod erfahren, wäre ich bestimmt zusammengebrochen. Sie aber noch einmal sehen zu dürfen und sie zu begraben, das hat mir etwas von Jenni zurückgegeben. Nicht Fremde haben entschieden, wie wir uns voneinander verabschieden sollten. Ich war es, verstehst du das?
    -    Natürlich versteh ich das, sagt sie und beugt sich vor, um mich auf den Mundwinkel zu küssen. Danach steht sie auf.
    -    Die Einkaufsliste kann ich auch allein schreiben. Ruf du lieber ihre Eltern an, dann hast du es hinter dir.
    Ich bleibe im Wohnzimmer sitzen, Val schließt die Tür hinter sich. Das Telefon hegt am anderen Ende des Sofas. Ich rutsche rüber und nehme es in die Hand. Draußen beginnt es wieder zu schneien. Erst unauffällig, dann immer dichter. Ich glaube, den Wind zu hören. Ich glaube, eine Bewegung hinter mir zu spüren. Jenni, die mit mir darauf wartet, daß ich endlich ihre Eltern anrufe. Ich sitze und lausche und sage irgendwann leise:
    -Gut.

    Nach der Anspannung und der Angst, die ich vorher hatte, geht mir das Gespräch viel zu schnell. Ehe ich weiß, was passiert, habe ich meinen Part hinter mir und bin dabei, Fragen zu beantworten.
    —    Hast du es denn bei ihrer Freundin in Kassel versucht?
    —    Die hat seit Samstag nichts mehr von ihr gehört. Sie rief mich an, weil sie wissen wollte, ob Jenni gut angekommen ist. Ich dachte, sie wäre vielleicht bei euch vorbeigefahren.
    Jennis Vater schweigt, und ich kann mir vorstellen, wie er dabei vor sich hinnickt, als würde mit dieser Bewegung jeder Gedanke einzeln verdaut. Er gehört zu der Sorte von Männern, die in Filmen den Snob darstellen. Gestutzter Bart, kantiges Gesicht und braungebrannt. Solche Männer tragen immer ein Hemd von Lacoste oder T-Shirts von Boss, dazu beige Bundfaltenhosen und Segelschuhe. Er mag mich nicht, weil ich keine Ambitionen habe. Er ist das Klischee des Vaters und hat es gehaßt, daß Jenni nie das Klischee der Tochter sein wollte.
    —    Ich spreche mit Petra und rufe dich gleich zurück, sagt er und legt auf.
    Jennis Mutter paßt in eine trockene Komödie und würde ein großartiger Gegenpart zu Jack Nicholson sein. Sie besitzt einen bissigen Humor, ohne den sie wahrscheinlich ihren Mann schon vor dreißig Jahren erwürgt hätte. Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll. Sie hat mir immer wieder gesagt, daß ich der Mann für Jenni sei. Auf diese Weise gab sie Jenni ein gutes Gefühl. Oder, wie Jenni einmal feststellte: »Damit zeigt sie mir, daß ich auf dem richtigen Weg bin.« Leider hat mir Jenni auch erzählt, daß ihre Mutter bisher jeden ihrer Freunde als den Mann gesehen hat.
    Zehn Minuten später ruft mich ihr Vater zurück.
    -Theo, wir sollten die Polizei anrufen.
    -    Soll ich---
    -    Nein, ich mach das schon. Hör du dich bei ihren Freunden um. Es ist mir ein Rätsel. Muß denn das kurz vor Weihnachten passieren?! Ihre Mutter ist sehr enttäuscht. Es paßt überhaupt nicht zu Jenni. Habt ihr euch gestritten?
    Ich schüttle den Kopf, schlucke an den Worten, die in meinem Hals feststecken und sage gepreßt:
    -    Es gab keinen

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