Du Durchschaust Mich Nicht
der Fall zum aufwendigsten und längsten Erpressungsversuch in der deutschen Kriminalgeschichte wurde.
Als ich Jahre später das erste Mal in Berlin war, um
Street Magic
zu drehen, musste ich natürlich zum Kurfürstendamm und ins KaDeWe. Das war eins meiner persönlichen Berlin-Highlights, und zwar nicht deshalb, weil ich shoppen wollte. Ich sprach die Sicherheitsbeamten in der Nähe des Eingangs an und fragte scheinbar naiv: »Ist hier das Kaufhaus, in dem Dagobert seine Bombe hat hochgehen lassen? Hat er hier jahrelang alle zum Narren gehalten?« Mann, waren die angepisst!
Die persönliche Begegnung mit Arno Funke, alias Dagobert, war also schon lange ein Wunsch von mir. Ich wäre beinahe schon einmal in das Theaterstück gegangen, in dem er mitspielte, nur um ihn zu sehen, aber dann kam ein eigener Auftritt dazwischen, und es passte nicht. Als ich anfing, an dem Buch zu arbeiten, kam ich wieder auf Dagobert zurück und versuchte einfach, einen Interviewtermin zu bekommen. Es klappte!
Zum Termin warte ich in seinem Lieblingsbistro auf dem Kurfürstendamm auf Dagobert. Er ist fünfzehn Minuten über die Zeit, aber ich bin sicher, dass er mich nicht versetzt, obwohl das Treffen über meinen Manager verabredet wurde und nicht von mir persönlich. Ich wechsle noch einmal den Tisch, damit mein Gepäck niemanden stört – in zwei Stunden muss ich schon wieder am Flughafen sein –, und ich versuche, alle Eingänge im Blick zu haben. Zur Not ist seine Handynummer in meinem iPhone gespeichert. Dagoberts Handynummer!
Ich warte noch immer. Jetzt ist über eine halbe Stunde vergangen. Auf dem Telefon habe ich schon vor einer ganzen Weile seine Nummer aufgerufen, ich will aber auch nicht drängeln. Dann wähle ich doch. Hey, kann es sein, dass ich aufgeregt bin? Das kenne ich normalerweise nicht. Es macht mir einfach Spaß, mich vor Hunderten von Zuschauern auf der Bühne zu präsentieren. Aber das ist eine ganz andere Situation, und es ist nicht irgendjemand, den ich da treffen soll, es ist DAGOBERT , einer der größten Helden meiner Jugend.
Arno Funke erpresste im Jahr 1988 das KaDeWe in Berlin um 500 000 Mark. Eine Bombe, die am 10 . Mai zur Nachtzeit detonieren sollte, versagte jedoch. Auch die Geldübergabe scheiterte. Eine zweite Bombe etwa vierzehn Tage später detonierte und richtete erheblichen Sachschaden an. Die zweite Geldübergabe war erfolgreich.
Das Geld reichte bis 1992 . Arno Funke litt an Depressionen und stand kurz vor einem Suizid. Für ihn der einzige Lösungsweg: eine weitere Erpressung. Mit der Erfahrung, dass Geld weniger leicht zu erpressen als auszugeben ist, verlangte er vom Karstadt-Konzern zuerst eine Million, später 1 , 4 Millionen Deutsche Mark. Eine Kleinanzeige, die er zur Bereitschaft der Übergabe mit den Worten »Dagobert grüßt seine Neffen« drucken ließ, war für die Medien Vorlage für den Spitznamen. Es folgten fünf Bombenanschläge und ein Brandanschlag, bei dem zwei Menschen leicht verletzt wurden. Spätestens jetzt waren alle von der Ernsthaftigkeit seiner Forderungen überzeugt.
Als sich Arno Funke am anderen Ende der Leitung meldet, sage ich höflich, dass ich in dem verabredeten Bistro sitze und nicht sicher bin, ob ich am richtigen Ort warte. Es stellt sich heraus, dass er eine andere Zeit notiert hat als ich, aber er wohnt um die Ecke und beeilt sich. Zehn Minuten später erkenne ich ihn sofort. Er kommt mit einem verschmitzten Lächeln auf mich zu, und wenn ich nicht so viele andere Dinge im Kopf gehabt hätte, wegen des bevorstehenden Gesprächs, ich hätte jetzt schon geahnt, dass ich meinen Flieger verpassen werde.
Ich frage, ob ich unser Gespräch aufnehmen dürfe, und er antwortet, dass er sich seit seiner Festnahme daran gewöhnt habe, dass Gespräche mit ihm aufgezeichnet werden. Wir lachen, das Eis ist gebrochen.
Wir reden bei einem Kaffee darüber, wieso ich auf ihn gekommen bin und dass mich seine Ablenkungsmanöver bei der ganzen Erpressungsgeschichte am meisten interessieren. Schließlich sind Rauchwolken und andere Pyroeffekte, wie er sie initiiert hat, auch bei Magiern beliebte Mittel zur Ablenkung. Und er hat Dinge anders erscheinen lassen, hat vorgetäuscht, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Hallo? Wer ist hier der Magier?
Während ich das denke, sagt Arno Funke: »Ich hab mir tatsächlich oft gedacht, ich hätte Zauberer werden sollen, bei den ganzen Illusionen, die ich so geschaffen habe. Aber die Pyroeffekte waren
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