Du findest mich am Ende der Welt
Nicht daà sie nicht manchmal auch Grund dazu gehabt hätte,
denn als wir uns kennenlernten, gab es noch eine andere Frau in meinem Leben â
Hélène.
Eigentlich
hatten wir uns in aller Freundschaft getrennt, Hélène war Hals über Kopf mit
einem Architekten zusammengezogen, der sich als genialer, aber nicht immer
einfacher Mann erwies, doch ab und zu meldete sie sich bei mir, und wenn June
das mitbekam, gab es jedesmal Krach.
» Fuck! Was will diese Frau von dir? Sie
soll dich endlich in Ruhe lassen!« rief sie aufgebracht und schleuderte mein
Handy durch das Schlafzimmer.
Es gibt wenige Frauen, die auch als Furien noch reizvoll sind. June
war eine dieser wenigen. Selbst in ihrer Wut sah sie wunderschön aus. Ihre
langen braunen Locken fielen ihr über die nackten Schultern, und ihre
moosgrünen Augen funkelten empört. Ich nahm sie in die Arme und zog sie wieder
ins Bett.
»Komm her, meine kleine Wildkatze, comme tu es
belle , wie schön du bist«, flüsterte ich in ihr Ohr. »Laà doch Hélène.
Sie ist eine alte Freundin, mehr nicht. Und sie hat Probleme mit ihrem Typ.«
» So
what? Was gehtâs dich an? Sie soll
ihre Beziehungsprobleme mit einer Freundin besprechen, nicht mit dir! Thatâs not okay! « June
verschränkte trotzig die Arme. Im nachhinein denke ich, daà sie nicht ganz
unrecht hatte, doch damals schmeichelte es wohl meiner männlichen Eitelkeit,
daà Hélène mich weiterhin ins Vertrauen zog.
June hatte Argusaugen, ihr blieb nichts verborgen, eifersüchtig
bewachte sie jeden meiner Schritte. Vor allem seit sie die Rechnung von La
Sablia Rosa in meiner Brieftasche gefunden hatte.
La Sablia Rosa ist das Wäschegeschäft in
Paris, ein kleiner Laden in der Rue Jacob, direkt neben einem groÃen
französischen Verlagshaus. Wenn man etwas Besonderes in Sachen Dessous sucht,
findet man es hier.
Als ich zwei Wochen mit June
zusammen war und mein Leben sich überwiegend zwischen Schlafzimmer und Galerie
abspielte, sah ich eines Morgens im Vorübergehen ein zauberhaftes
Seidennachthemd in der Auslage von La Sablia Rosa. Ein ärmelloses, kurzes petit rien, mit zarten
Blumen, wie für eine Frühlingsfee gemacht. Zunächst wollte ich das Nachthemd
nur für June und lieà es mir in GröÃe M bringen. Dann fiel mir ein, daà Hélène
Geburtstag gehabt hatte. Ich hatte sie angerufen, und sie hatte ganz traurig
geklungen. Und da hielt ich es plötzlich für eine nette Idee, auch Hélène ein
Nachthemd mitzubringen. Als Trost, zum Geburtstag, als Abschiedsgeschenk für
die schöne Zeit, die wir miteinander hatten.
Französischen Wäscheverkäuferinnen ist nichts Menschliches fremd.
Als ich der älteren Dame, die im Sablia Rosa bediente, sagte, daà ich das
Nachthemd noch eine Nummer kleiner bräuchte, verstand sie mich zunächst falsch
und griff nach dem gröÃeren, um es wieder zurückzuhängen.
»Wenn es der Dame nicht paÃt, können Sie es selbstverständlich
umtauschen«, sagte Madame und trat zu der Puppe im Fenster, um das kleinere
Nachthemd aus der Dekoration zu holen.
» Ah non, Madame, jâai besoin des deux , ich
bräuchte beide«, erklärte ich verlegen. »Eines in S, das andere in M. Es sind
zwei Damen ⦠sozusagen«, setzte ich hinzu und grinste schwachsinnig. Woody
Allen hätte es kaum besser machen können.
Madame drehte sich um und schmunzelte. » Mais,
Monsieur , câest tout à fait normal , das ist
doch ganz in Ordnung«, sagte sie, schlug jedes Nachthemd sorgfältig in
Seidenpapier ein und machte mir zwei wunderhübsche Päckchen, die zunächst bei
den Beschenkten groÃe Freude auslösten.
Hélène stiegen Tränen der Rührung in die Augen, als sie über den
zarten Blumenstoff strich und »Wie lieb von dir« sagte.
June stieà einen Freudenschrei
aus, gab mir einen Kuà und rià sich gleich ihre Kleider vom Leib, um das
Sterntalerhemdchen vorzuführen. Ausgelassen tanzte sie durch meine Wohnung.
Doch schon drei Tage später sollte sich die Frühlingsfee in eine Rachegöttin
verwandeln.
Um es kurz zu machen â June fand es nicht tout Ã
fait normal , als sie eine Rechnung über zwei identische Nachthemden in
unterschiedlichen GröÃen in meiner Brieftasche entdeckte. Und daà es auch noch
das kleinere von beiden war, welches für ihre Vorgängerin
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