Du findest mich am Ende der Welt
für den kommenden Donnerstag
zugesagt, und der Professor hatte versprochen, einen
literaturwissenschaftlich-detektivischen Blick auf die Briefe von
Madame-Bergerac-la-Principessa zu werfen, wovon ich mir einiges versprach. Dann
war ich voller Ungeduld in die Rue des Canettes geeilt. Die Sache mit der Nase
ging mir nicht mehr aus dem Sinn.
»LaÃ
die Dinge sich entwickeln, alles wird sich finden«, hatte Aristide bei der
Verabschiedung gesagt und mir dabei jovial auf die Schulter geklopft. »Meine
Güte! Wenn ich solche Briefe bekäme, würde ich jeden Tag genieÃen.« Dabei
rollte er verzückt mit den Augen.
Aristide hatte gut reden mit seinen Der-Weg-ist-das-Ziel-Sprüchen.
Ich war der Hamster im Rad, der Runde für Runde lief, ohne an ein Ziel zu
kommen. Und ich wollte nicht jeden Tag genieÃen und jede Nacht nicht schlafen
können. Ich wollte ⦠Klarheit!
Wer war die Principessa nun? War es die häÃliche Frau mit der groÃen
Nase? War es vielleicht doch die überirdisch schöne Lucille?
Nach einer Flasche Rotwein schien mir die Wahrscheinlichkeit, daà es
Lucille war, die nach all den Jahren in mein Leben zurückkehrte, recht hoch. In
Filmen passierten solche Sachen ständig. Und inzwischen war ich kein dummer
Junge mehr, sondern ein Mann, der etwas vorzuweisen hatte, und der â
selbstverständlich! â auch küssen konnte.
Energisch drückte ich die Tür auf und ging durch den dunklen
Hof, an den Mülltonnen vorbei, die Treppen hoch, bis ich vor meiner Wohnung
stand. Lucille, wenn sie es war, würde sich noch wundern!
»Wer ist Lucille?« fragte Bruno. »Von der war doch noch nie die
Rede.«
Ich
hatte gerade Cézanne seinen FreÃnapf gefüllt und war auf dem Weg zum
Schreibtisch, als etwas in meiner Hose vibrierte. Es war mein Handy, das ich im
Café auf lautlos gestellt und dann vergessen hatte, und nun verlangte mein
bester Freund ins Bild gesetzt zu werden.
Ich erklärte kurz, wer Lucille war und daà ich glaubte, sie am
Bahnhof gesehen zu haben.
»Nie im Leben!« sagte Bruno.
Ich stellte meine Ohren auf Durchzug.
»Das war irgendeine andere blonde Frau«, meinte Bruno unbarmherzig.
»Paris ist voller Blondinen. Die meisten davon sind gefärbt. Vergià das mal mit
Lucille. Junge, das ist dreiÃig Jahre her. DreiÃig Jahre! Warst du jemals bei einem Klassentreffen? Nein?!« Er schnaufte in den
Hörer. »Glaub mir, heute ist diese Lucille rund und dick, hat fünf Kinder und
einen Kurzhaarschnitt.«
»Aber es könnte sein«, beharrte ich.
Bruno seufzte. »Ja, es könnte auch Rapunzel
sein, die im Wunschturm auf dich wartet. Bleib realistisch! Sag mir lieber, was
mit der anderen Frau war, der dunkelhaarigen.«
»Auf die hab ich nicht so genau geachtet«, entgegnete ich unwillig.
Lucilles lichtumstrahlte Gestalt rückte in immer weitere Ferne.
»Und das war ein Fehler«, entgegnete Bruno im Brustton der
Ãberzeugung. »Was ist mit Soleil? War die Dunkelhaarige vielleicht Soleil?«
»Nein! Was hast du nur immer mit
Soleil? Die ist gröÃer und hat viel dickere Haare als die Frau im Bahnhof.«
»Wie willst du dir da so sicher sein? Du sagtest doch, die beiden
Frauen standen ganz weit weg. Ich möchte wetten, es war doch Soleil.«
Bruno lieà sich nicht von seiner fixen Idee abbringen, und ich
stöhnte auf. Worum ging es hier eigentlich?
»Verdammt noch mal, Bruno, willst du mich wahnsinnig machen? Worum
geht es hier eigentlich?« schrie ich völlig auÃer mir. »Geht es um deine Wette,
ist es das? Ich schenk dir den Champagner, wieviele Flaschen willst du? Eine?
Zwei? Hundert? Es war nicht Soleil, kapiert! Die
hätte ich auf jeden Fall erkannt. Das ist doch alles völlig lächerlich!« tobte
ich und wuÃte selbst nicht, warum ich mich plötzlich so ereiferte.
»Aha.« Bruno schwieg einen Moment. »Nun, dann träum weiter von
deiner blonden Fee. WeiÃt du was? Mir kann es ja herzlich egal sein, aber ich
glaube, du willst einfach nicht, daà es Soleil ist.
Dabei ist sie die einzige, die wirklich in Frage kommt. Meine Meinung.«
Danach sagte Bruno nichts mehr. Er hatte aufgelegt.
Mit schlechtem Gewissen schlich ich zu
meinem Schreibtisch. Nun hatte ich auch noch Krach mit Bruno. Und alles wegen
einer Frau! Einer Frau, die ich nicht zu fassen bekam. Einer Hexe mit einer
riesigen Nase,
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