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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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maßvoll Widerspenstige, lässt sich nicht zähmen.

Die Strumpfbandgeschichte
    Am Sonntagmorgen hört Storm wieder die Gefangenen singen. Am Mittwochabend – kein Brief von Constanze, die Stimmung ist verdorben – greift er den nächsten Fall aus seinem Liebesleben auf: die Strumpfbandgeschichte.
    Constanze hatte, als sie abreiste, neue Strumpfbänder angezogen und Theodor ihr wohlchaussiertes Bein gezeigt. Der bat sie, für die Reise nicht die neuen, sondern die alten zu tragen. Constanze begriff Storms Bitte, sie sah wohl auch seine Hintergedanken, sie versprach, die neuen nicht zu tragen. Storm verstand ihr Versprechen wie eine zärtliche heilige Versicherung . Nun aber findet er nach Constanzes Abreise eines der alten Strumpfbänder, und er lässt wieder die Katze Eifersucht aus dem Sack: Du hast diese kleinen coquetten herausfordernden Dinger doch wohl keinesfalls getragen, als Du Dich Stolle zur Untersuchung darbotest? Ich bitte Dich antworte mir darüber . Den letzten Satz hat Storm unterstrichen. Die Strumpfbandgeschichte bemalt er, der Worte auf ein hundertstel Gramm genau abwiegen kann, nun pornographisch mit der maßlosen Unterstellung, Constanze hätte sich dem untersuchenden Arzt dargeboten, und das liege ihm wie Gift im Blut .
    Constanzes Post, die er am darauf folgenden Tag erhält, entgiftet ihn vorübergehend; er kann den ernstlich besorgten Ehemann hervorkehren. Ist es in Segeberg auch warm genug? In Heiligenstadt will er eine Sitzbadewanne besorgen. In Segeberg hält Constanze sich an die Anweisungen des Arztes. Sie wäscht sich jeden Morgen mit brunnenkaltem Wasser. Dann nimmt sie ihr Sitzbad. Und wie es mit den Strumpfbändern gekommen, meine ich müsstest Du Dir selber sagen können . Sie habe die alten nicht so rasch finden können, habe darum die neuen genommen, und dann vergessen, die neuen abzunehmen.
    Das hört sich an nach fauler Ausrede, zu dumm, dass ihr keine bessere einfiel. Warum sollte Constanze die schönen neuen Strumpfbänder nicht anziehen? Warum die schäbigen alten Dinger? Selbstverständlich wollte sie auch bei der ärztlichen Untersuchung achtbar ausgerüstet und bekleidet erscheinen. Diese Wahrheit konnte sie Theodor nicht zumuten, sie hätte ihn vollends zum Überschnappen gebracht. Constanze lässt sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Sie bleibt trotz all‘ Deiner Verdrehtheiten, wegen Deiner großen Liebe zu mir immer und ewig Deine Constanze.
    Constanze spielt geschickt auf der Klaviatur der Partnerschaft und weiß das »ewig« zu kontrollieren. Er sei der einzige Mann, dem ich gehören mag, ob das in meiner Jugend so gewesen und ob ich unter keiner Bedingung einen anderen genommen kann ich nicht sagen, daß [sic] weiß ich aber, daß ich jetzt jeden Tag den lieben Gott dafür danke, daß ich Deine Frau bin und keines andern, ausgenommen wenn wir uns ein Mal zanken und ich doll auf Dich bin. Und dann die Mahnung: Und jetzt sei vernünftig .
    Vernunft und Liebe, das geht immer schwer zusammen; bei Storm geht es gar nicht. Schnell ist er beim Stichwort »Wortbruch«, der nie hätte passieren können, wenn Constanze nur inniger an ihn gedacht hätte: Wie konntest Du so sprechen, und nachher so handeln? Das ist die Kernfrage in der aktuellen Phase der Strumpfbandgeschichte. Auf diese Frage wird Constanze keine Antwort wissen. Verdrehtheiten? Das sind die natürlichen Gedanken und Empfindungen eines Mannes, der seine Frau liebt und ebenso von ihr geliebt zu sein wünscht. Ebenso? – Du, beiläufig, ich wollte lieber, daß Du ewig mein wärst wegen Deiner großen Liebe zu mir, als wegen meiner großen Liebe zu Dir. Eine von Storms raffinierten Spitzfindigkeiten.
    Einmal während des Briefschreibens in Gang gekommen, bleibt Storms siedender Kopf in Wallung; er spürt, dass er vergeblich gegen Constanze wütet und anrennt und in Zerknirschung und Ergebung vor ihr auf die Knie fallen muss. Du denkst wohl nicht daran, daß Du dadurch nicht allein mein Herz, sondern auch meine Gesundheit zertrittst .
    Er will, wie der Teufel, ihre Seele haben – er bekommt sie nicht. Er startet zu geistigen Höhenflügen und wähnt sich als der liebe Gott – er schafft es nicht. Seine Phantasie schaltet und waltet, und alles, sei es noch so entlegen oder so ausgesucht quälerisch , findet Unterschlupf und Heimat in seinen Gedanken, die zum Übungsgebiet für den künstlerischen Ernstfall werden. Seine Novellen erzählen davon: Fast immer enden sie im katastrophalen Scheitern einer

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