Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Liebe.
Während Storm die unselige Strumpfbandgeschichte nicht verwinden kann und sie, wie Sisyphos in der Unterwelt seinen Stein, nicht los wird, dazu noch weltentrückt nach einer ewig dauernden Vermählung mit Constanzes Seele bis ans Ende aller Dinge greift, kehrt der Alltag in Heiligenstadt ein, die Familie ist wieder komplett mit Constanze, Lucie und Elsabe.
Trotz der von Stolle verordneten Behandlung bricht Constanze plötzlich zusammen. Haben etwa die kalten Sitzbäder eine Blasen- und Nierenentzündung herbeigeführt? Kraftlos und müde schleppt sie sich hin, ihre Regel kommt schwach, sie leidet an einer Schweinsbeule am Oberschenkel und an Druck in der Brust . Zeit für Theodor, dem Schwiegervater aufzuzählen, welches Pensum der Alltag für Constanze enthält. Letztere, die einem Haushalt von sechs Kindern vorsteht, mit Karl rechnen und Klavier üben, mit Lisbeth französisch treiben, kochen, stopfen, große Wäsche halten, die Poesien des Mannes mitmachen helfen, den jungen Damen im Alt Hillersche Fugenchöre einzupauken, all die hundert Fragen und Anfodrungen des ganzen Hauses befriedigen, und des Nachts, einen jährigen Säugling zufrieden stellen muß, diese Constanze hat, mein ich, körperliche und geistige Stoffausgabe mehr, als zuviel.
Von Kindern und Katzen, Käfern und Märchen
Weitere Familiennachrichten taucht Storm in Rosarot zur eigenen Beruhigung und zum Trost für die Schwiegereltern. Während Ernst ein tüchtiger Tertianer ist, haben die Storms ihren Hans nun endlich vom Gymnasium genommen und in eine Schlosserlehre gesteckt. Nebenher muss er pauken, Mathematik und Englisch, Storm sieht ihn schon als angesehenen Techniker, der einen großen Betrieb mit vielen Arbeitern und Angestellten führt. Vorbild ist ihm der in Heiligenstadt geborene, jüdische Unternehmer und Maschinenbauer und spätere Reichstagsabgeordnete Ludwig Löwe (1837–1886). Der fünfundzwanzig Jahre junge Mann ist eine Macht und kann 4000 Arbeiter kommandieren. Storm ist beeindruckt, kein Wunder, denn er ist ein Liebhaber meiner Schriften, schreibt er den Eltern.
Weihnachten 1863 steht vor der Tür; Lisbeth erkrankt an Röteln, Theodor kämpft seinen Kampf mit Magen- und Krampfbeschwerden. Hans soll den Weihnachtsmann spielen, Tannenzapfen vergolden und Netze schneiden. Hans hat nicht nur den »Weihnachtsmann« von seinem Vater geerbt, sondern auch dessen Liebe und Interesse für die Schöpfung. Storms großartige Naturbeschreibungen werden zu Recht gerühmt, seine Tier-Schilderungen stehen ihnen nicht nach: Pferde, Hunde, Katzen, Vögel hat er auf seine eigentümlich-lebendige Weise festgehalten. Wer mehr über Liebe und Not eines Katzenfreundes erfahren möchte, der lese sein prall mit Wahrheit gefülltes Gedicht »Von Katzen«, das Mörike auswendig vortragen konnte und das Peter von Matt zu dieser Frage bringt: Ist das wirklich Storm, diese Katzen-Burleske, diese Wiederkehr des Zauberlehrlings als Tierfreund?
Katzen, Kaninchen, Kanarienvögel, Buchfinken, Spatzen, Laubfrösche gehören zum Familien-Zoo. Keiner besorgt die Tierpflege so liebevoll und gewissenhaft wie der inzwischen fünfzehnjährige Hans. Eine besondere Natur-Neugier teilt Hans mit seinem Bruder Ernst, mit Vater Theodor, ja sogar mit Mutter Constanze: das Käfer-Interesse. Zu Weihnachten gibt es für Hans und Ernst zwölf ausländische Käfer zu ihrer Sammlung . Hans hat im vergangenen Sommer eine große Partie Hirschkäfer zusammengefunden, getauscht und geschachert . Storm hat ein Mikroskop angeschafft und als wissenschaftliches Begleitbuch dient das »Käferbuch« von Carl Gustav Calwer, das 1858 zum ersten Mal erschien und immer wieder aufgelegt worden ist, zuletzt 1916. Beihilfe in der Käferforschung leistet der treffliche Honerlach aus Segeberg. Aber auch die Stormsöhne können was: Den anderen Käfer haben sie nach dem neuen Käferbuch von Calwer als cerambix. Spondylis Fabr. (Attelabus-L.) bestimmt , schreibt Constanze an ihre Eltern. Storm erweist sich als tüchtiger Zeichner, wie das Beiblatt zu einem Brief an seinen Schwiegervater belegt. Sein Interesse an Käfer-Krabbeltieren ist auch literarisch fruchtbar, in seiner späteren Novelle »Der Herr Etatsrat« (1881) schlägt es seltsam-auffällig durch.
Storms Weihnachtsbrief von 1863 endet mit den Zeilen des fünfzehnjährigen Enkels Hans an seine Großeltern in Husum: Ihr wundert Euch gewiß, daß die Briefe von Mutter und Vater ausgeblieben sind, aber ein unangenehmer Zwischenfall
Weitere Kostenlose Bücher