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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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hat es verhindert . Auch Theodor und Constanze haben sich mit Röteln angesteckt. Der Enkel berichtet, sein Vater habe sich selber »bunte Steine« von Adalbert Stifter zu Weihnachten geschenkt . Er ist jetzt eben im Begriff, ein Märchen »Die Regenfrau« zu schreiben und ist beinahe fertig. Auch hat er, wie er mir gesagt hat, das zweite schon im Kopf. Unterschrieben hat Hans mit Euer gehorsamer Enkel Hans Storm . Sein Vater fügt am Ende noch im Bette liegend eine Bemerkung an, die abermals zeigt, wie er das Selbstbewusstsein seines Kindes aushöhlt: Hans bittet, den Styl seines Briefes zu entschuldigen, der arme Junge hatte Kopfschmerzen. Weil der Styl des Briefes untadelig war, hätte der Vater dem Sohn die Entschuldigung ausreden müssen.
    Auch Lucie steckt sich an mit Röteln, und um das Maß voll zu machen, erkrankt das Kindermädchen an Gesichtsrose – Familie Storm im Weihnachtskrankenlager von 1863. Storm nutzt die Gelegenheit und zieht sich zurück. Ähnlich wie mit der Musik kann er sich mit seinem Dichten ins Tiefinnere seines Selbst begeben, sichert sich damit und nutzt es wie einen Schutzraum für die eigene Produktivität. Einen Monat später erfahren die Eltern, er schreibe, von wirklich dämonischem Trieb gedrängt, ein Märchen nach dem andern .
    Freund Brinkmann, der mit der »Regentrude« später hart ins Gericht geht, den »Spiegel des Cyprianus« dagegen lobt und als Schauerstück bezeichnet, meint Ähnliches in einer englischen Novelle gelesen zu haben. Etwa eine Schauergeschichte von E. A. Poe? Schauerstück eigener Art ist auch »Bulemanns Haus«, eine Weihnachtsgeschichte, die ebenfalls Gedankenspiele mit englisch geschriebener Literatur erlaubt, mit Charles Dickens’ »Ein Weihnachtslied in Prosa«. Storm wird diese Novelle, wie anderes von Dickens, gekannt haben, oft genug ist in seinen Briefen von »Boz«, Dickens’ Pseudonym, die Rede. In dessen Weihnachtsgeschichte erlebt der Geizhals und Menschenverächter Scrooge, geführt von den Geistern der Vergangenheit, einen Läuterungsgang, der ihn in einen besseren Menschen verwandelt. Aus dem Geizhals wird der Großzügige, aus dem Menschenverächter der Menschenfreund, besonders der Freund der Kinder. Bulemann, dem niederdeutschen »Buschemann« oder »Bumann« eng verwandt, ist als »schwarzer Mann« den Kindern ein Schreckgespenst wie Scrooge. Auch er geht einen Läuterungsgang, allerdings einen sinnlosen; denn das Kind, das er womöglich hätte retten können, stirbt, weil er seine Hilfe verweigert. Auch hier Gespenster: Katzen, die größer und größer werden, während er kleiner und kleiner wird und, von diesen Furien getrieben, seine Seelenreinigung wie im Höllenfeuer erlebt. Ein Funken Hoffnung kann er aus dem Ganzen schlagen; er ist nicht nur äußerlich kleiner geworden, sondern auch innerlich, ein Stück Demut und Menschenfreundlichkeit scheint ihm zugewachsen: Er möchte einem Kind begegnen. Für Bulemann selber ist alles zu spät, und er mag, ähnlich wie Johannes in der Novelle »Aquis submersus«, denken: Es ist Alles doch umsonst gewesen .
    Während Storm sogar auf dem Krankenlager noch schöpferisch bleibt, landet Hans mit den hochfliegenden Plänen seines Vaters auf dem Boden der Tatsachen: Er muss sich selber wieder einmal die Schuld für sein Versagen ankreiden. Er kann weder seiner Handwerkslehre nachgehen noch Mathematik lernen; und bei den körperlichen Schwächezuständen weiß ich noch immer nicht, ist es nur vorübergehend oder fehlt die geistige Fähigkeit überhaupt, so daß der Plan mit dem Polytechniker aufgegeben werden muß, schreibt Storm ernüchtert nach Husum.
    Zum Glück kann der Vater seinen Eltern noch von der Herzensgüte und tätigen Nächstenliebe dieses Sorgensohnes erzählen. Anfang Januar hatten die Storms ein junges Zigeunerweib mit zwei Kindern zu Gast. Die drei waren von einem Wachtmeister mit der Hundepeitsche aus dem gegenüber der Stormwohnung liegenden Gefängnis getrieben worden. Die Frau wollte zu ihrem Mann, der, angeklagt wegen Diebstahls, eingesperrt worden war und nun warm und trocken saß. Man hörte die Mutter weinen und eines der Kinder nach seinem Vater schreien, die Storms sahen die drei unten auf der Straße aus dem Fenster ihrer Wohnung im ersten Stock. Da haben wir, wie es sich für des Dichters Familie ziemte, die fahrende Heidin mit ihren Kindern an unseren Tisch gesetzt und sie mit heißem Kaffee und Semmeln erquickt. (…) – Als nun aber die Leute satt und warm

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