Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Herr Storm! Am frühen Morgen 6 ¾ Uhr ist Ihre Frau Tochter von ihrem [unleserlich] Leben erlöst worden. Sie schlief ruhig ein und war bis zu ihrem letzten Augenblick ohne Besinnung.
Wenig später begibt Storm sich auf Erholungsreise nach Altona zu seinem Musikus Ludwig Scherff, dann nach Segeberg zu den Schwiegereltern, nach Husum zu den Eltern und nach Hademarschen zu seinem Bruder Johannes (1824–1906), der dort verheiratet ist mit Friederike »Rike« Jensen, einer Schwester von Doris Jensen. Constanze bleibt mit allen Kindern in Heiligenstadt zurück. Versuche nur heiter und leichten Herzens zu sein , schreibt sie ihm nach Altona. In Segeberg bezeichnet Storm das Verhalten seiner Schwiegermutter und Tante Elsabe als anfänglich etwas wunderlich . Mit dem Käfer-Experten Honerlach verlebt er eine schöne Käferstunde. Selbstverständlich gehört der Tod der Schwester in den Gesprächsstoff.
Trotz seiner Erschütterung findet er Gefallen an der Reise. Aus der Ferne bittet er Constanze, sie möge den vierzehnjährigen Hans zu seinem Kollegen Gerhardy schicken mit der Frage, ob ich, ohne daß das Kreisgericht zu Grunde gehe, noch den 12. des Monats [August] wegbleiben kann. Dass man sein Kind in einer solchen Berufs- und Elternangelegenheit nicht missbrauchen darf, weiß Gott sei Dank Constanze. Sie fragt den Kollegen bei sich bietender Gelegenheit und erhält die Auskunft, Storm könne auch noch bis zum 15. bleiben, denn im Gericht gebe es nichts zu tun. Storms Unverstand und Gedankenlosigkeit sind längst seinem Freund Alexander von Wussow aufgefallen. Er charakterisiert Storms Verhältnis zu Sohn Hans einmal so: Weißt du, er hat deine Dummheit; aber er hat auch deinen Verstand .
Constanze schreibt sechs Tage vor der Rückkehr ihres Mannes wider besseres Wissen: Deine Frau ist auch gesund und wie ich glaube jetzt nachhaltig; ich bin von einem Riesen Appetit, ein trocknes Stück Brot schmeckt mir so gut wie ein beschmiertes . Am 11. August 1863 trifft Storm zusammen mit Ludwig Scherff wieder in Heiligenstadt ein. Constanze freute sich nicht wenig, den Mitregenten des Hauses wieder eintreffen zu sehen, schreibt Storm an die Eltern.
Es ist wie verhext. Schon bald übernimmt die Krankheit im Hause Storm wieder die Regentschaft. Lucie und Elsabe haben sich angesteckt: Keuchhusten. Vierzehn Tage später: Meine kleinen Mäuse husten noch fortwährend, doch in ziemlich langen Pausen und nicht eben gar so schlimm .
Schlimm allerdings steht es um Constanze. Sie hat Theodor erst nach seiner Rückkehr von ihren Unterleibsbeschwerden berichtet, wohl um ihn nicht zu beunruhigen. Storm befragt Schwager Stolle in Segeberg; den schätzt er nicht nur als tüchtigen Arzt, sondern auch als Kenner und Liebhaber von Literatur und bildender Kunst. Er empfiehlt, was doch eigentlich selbstverständlich gewesen wäre: Hausarzt Dr. Rinke um Rat zu fragen.Rinke aber scheint überfordert, tastet im Dunkeln, diagnostiziert eine Geschwulst und weiß: Die Frau ist ja seit vorigen Herbst nicht zur Ruhe gekommen .
Damit findet Storm sich nicht ab, er fürchtet das Schlimmste, nicht nur für Constanze, sondern auch für sich. Ein unheilbares Leid , das ihn jetzt schon, bevor er Näheres weiß, fassungslos sein lässt. Der Entschluss: Constanze fährt am 6. Oktober mit den beiden kleinen Mäusen Lucie und Elsabe und deren abklingendem Keuchhusten nach Segeberg. Hans und Karl begleiten sie bis Göttingen, wo der arme Karl, dem alle seine gewechselten Vorderzähne angefressen sind , sich vom Zahnarzt behandeln lassen muss. Danach trinken die Knaben ein paar Fläschchen Lagerbier zum Kalbsbraten in der »Krone«, wo Storm bei Herrn Bettmann schon mehrere Male übernachtet hat.
Bei Constanze erkennt ihr Schwager Dr. Stolle eine Scheidenwandsenkung. Constanze spielt die Sache im Brief an Theodor allerdings herunter : Es ist nichts von Bedeutung! An Schwiegermutter Lucie schreibt Constanze nach der Untersuchung: Aber mein ganzer Körper ist außerdem seit Elsabe‘s Geburt so grenzenlos erschlafft . Empfohlen werden Sitzbäder und Einspritzungen von Alaun , das der Gewebestärkung und Blutstillung dienen soll. Zweimal täglich spazieren gehen, auch das empfiehlt Stolle. In einem Attest, das Constanzes Brief an Theodor beiliegt, kann dieser ihre Nachrichten bestätigt finden: Laxität, resp. geringe Senkung der vordern Wand der Scheide: eine Affection wie sie sich häufig findet bei Frauen mit zarter Faser, welche rasch hintereinander
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