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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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waren, da hatten wir noch nicht viel gewonnen, Nun aber trat Hans in Tätigkeit. Er ging mit ihnen in die kleinen Herbergen, zankte sich mit den Wirten; und da keiner sie aufnehmen wollte, ging er aufs Rathaus und dann zum Bürgermeister, und endlich hat er sie nach dessen Anweisung persönlich im hiesigen Armenhause untergebracht. Dieses Familienerlebnis vergisst Storm nicht, es findet später Niederschlag in der Novelle »Pole Poppenspäler« (1875).
    Am Himmel über Schleswig-Holstein haben sich dunkle Wolken zusammengebraut. Das neue Jahr wird ein Entscheidungsjahr für das Land und für die Storms werden. Storm dichtet zunächst zur politischen Lage, man atmet und denkt ja jetzt nichts andres, schreibt er seinem Vater. Was er atmet und denkt, schreibt er für die »Gartenlaube« in ein Gedicht, das noch im Dezember in diesem Massenblatt abgedruckt wird: »Schleswig-Holsteinische Gräber«. An seine Eltern: So bin auch ich, meiner Heimat treuester Sohn, mit einem Liede in den heiligen Krieg gezogen, was hoffentlich in den ersten Tagen schon in viele tausend Herzen schlagen wird . Storm haut auf die Pauke: Die Erde dröhnt; von Deutschland weht es her, / Mir ist, ich hör‘ ein Lied im Winde klingen, / Es kommt heran schon wie ein brausend‘ Meer, / Um endlich alle Schande zu verschlingen! – heißt es in der vierten von neun Strophen. Die Worte »Schleswig« und »Holstein« tauchen darin nicht auf; aber fünfmal schreibt Storm das Wort »deutsch« und einmal spricht er von »Deutschland«.
    Durchaus möglich, dass der aufmerksame »Gartenlaube«-Leser Bismarck, der diese Zeitschrift erst kürzlich in Preußen verboten hat, brennend an Schleswig-Holstein interessiert ist. Er hat sicher dieses Storm-Gedicht gelesen. Heiligabend 1863 schreibt er an den Grafen Robert von der Goltz: Die Frage ist, ob wir eine Großmacht sind oder ein deutscher Bundesstaat, und ob wir, der erstern Eigenschaft entsprechend, monarchisch oder, wie es in der zweiten Eigenschaft allerdings zulässig ist, durch Professoren, Kreisrichter und kleinstädtische Schwätzer zu regieren sind . Wer anders als Theodor Storm kann mit »Kreisrichter« gemeint sein? Der richtet noch kurz vor Ende des Jahres einen Neujahrsgruß an die Eltern: Das alte Jahr taugte nicht viel für uns. Möge das neue uns in die Heimat zurückbringen und somit Alles vergelten .

Dritte Husumer Periode
1864–1880

Kehrte ich auf Wunsch meiner Landsleute
in meine Heimat zurück
    Mit diesen Worten begründet Storm seine Rückkehr in die graue Stadt am Meer gegenüber dem Redakteur der Wiener »Nationalzeitung« Carl Beck. Daran hält er noch acht Jahre später in einem Brief an die Schriftstellerin Ada Christen fest: Ich erhielt im Februar 1864 von meinen Landsleuten in Husum die Aufforderung, die dortige Landvogtei [Richter und Polizeimeister des Landbezirks] zu übernehmen . Dass viele Landsleute seine Heimkehr wünschten, allen voran die Eltern in Husum und Segeberg, daran gibt es keinen Zweifel. Ob sie aber wirklich der Ausschlag gebende Grund für seine Rückkehr gewesen sind?
    Nach seiner Rötel-Erkrankung im Januar 1864 blickt der Dichter so gebannt auf das politische Geschehen in der Heimat, dass er sein drittes Märchen, das Schauerstück »Der Spiegel des Cyprianus«, erst einmal zur Seite legt: Ich werde jetzt zu sehr zerstreut , schreibt er den Eltern. Zerstreut? Das täuscht. Storm tarnt sich möglicherweise, denn jetzt gilt es, hellwach zu sein und nicht den Überblick zu verlieren. So konfus ist die Welt wohl selten gewesen , schreibt er zwar schon drei Wochen vorher ähnlich an Brinkmann, aber er selber ist nicht konfus. Wenn sich bei ihm die Lebensumstände zuspitzen, wenn das »Sein oder Nichtsein« als praktisches Problem vor Augen steht und die Antwort keinen Aufschub duldet, dann sieht der hochsensible Mann bestechend klar und entwickelt erstaunliche Nervenkraft. Zwei Daseinsgründe gibt er nicht aus der Hand: das poetische Selbst und Constanze mit den Kindern.
    Den Überblick behält Storm nicht nur mit Hilfe der »Kreuzzeitung« und der »Nationalzeitung«, die er beide in Heiligenstadt liest. Auch Gerüchte und Hörensagen, Gespräche mit Nachbarn und Kollegen helfen weiter. Freund Wussow meidet er allerdings; denn die Begeisterungslosigkeit ist zu niederdrückend. »Schleswig-Holstein« ist ihm offenbar fatal zu hören, es ist allen Junkern ein Dorn , schreibt er an Pietsch. Und dann geht alles ganz schnell. Ende Februar reicht Storm seine

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