Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Vorbilder? Träume von Demokratie benebeln die Köpfe, sie sind der politisch unausgegorene Stoff, der die klare Sicht nimmt.
Storm tastet sich vor. In seinen zu Lebzeiten nicht veröffentlichten, mehr schlechten als rechten Versen »Schleswig-Holsteinische Hoffnungen« sagt er seinen Eltern und Brinkmann, was er eigentlich denkt: Und haben wir unser Herzoglein / Nun erst im Lande drinnen, / Dann wird, mir kribbelt schon die Faust, / Ein ander’ Stück beginnen. So lautet die erste Strophe, Freundlichkeiten erwarten den Herzog nicht in den drei nächsten; denn Storm zieht hier zu Felde gegen den Adel, der sonst nichts hat zu bedeuten . Die eigene Seelenlage beschreibt Storm so: Hoffnung auf Heimkehr und Haß gegen die deutsche Feudalpartei . Der Herzog ist wie alle Gekrönten meinem demokratischen Herzen eine sehr gleichgültige Figur , heißt es weiter.
Gleichgültig? Für seine Gedichte, die in der 4. Auflage erscheinen sollen, verfasst Storm ein Vorwort, in dem er Herzog Friedrich VIII. als den künftigen Herrscher von Schleswig-Holstein ehrfurchtsvoll andichtet. Im letzten Absatz schreibt er: Mein, meiner Frau und meiner heranwachsenden Knaben heißester Wunsch ist es, an einem glücklichen Tage unter der Regierung unseres angestammten Herzogs heimzukehren und unter den Stammesgenossen an der Entwicklung und den künftigen Schicksalen der geliebten Heimath Theil zu nehmen. Heiligenstadt 30. Januar 1864. Ew. Hoheit treuergebener Theodor Storm. Glückliche Umstände verhindern den Abdruck dieses Lobgesangs. Pietsch, der Preuße, meint: Und dem Herzog Friedrich wolltest Du sie widmen? Der verdient sie doch wahrlich nicht. Eine kläglichere Rolle wie er hat wohl noch nie ein Prätendent gespielt, und ich zweifle keinen Augenblick, daß ihm die Geschichte auch seinen wohlverdienten Lohn zahlen wird .
Storms Vorstellungen von der politischen Zukunft der Herzogtümer sind unausgegoren, weil die politischen Umstände selber noch unausgegoren sind. Nur eines weiß er und wünscht er sich in dieser Lage: der Tyrtäus der Demokratie zu sein, schreibt er an Brinkmann. Der lahme Dichter aus Athen begeisterte die kurz vor der Niederlage stehenden Spartaner im 2. messenischen Krieg so, dass sie doch noch den Sieg davontrugen. Storm will mit lyrischem Schwerteschwung den gordischen Knoten »Schleswig-Holstein« durchhauen.
Storms Wünsche sind denen des Vaters nahe. Wäre es nach Johann Casimir gegangen, dann wäre alles beim alten geblieben. Es muß beim Alten bleiben, so heißt es auch am Ende der Storm-Novelle »Abseits«. Damit meint der Dichter wohl nicht nur die deutsche Sprache, deren Bedrohung in der Heimat er beklagt. Mit diesem Werk aus allzu biederem Biedermeier und allzu beflissenem Politisieren kann der Tyrtäus aus Husum höchstens einen Pyrrhus-Sieg erringen.
Vielleicht guckst Du, lieber Vater, Dir diese kleine stille Geschichte auch einmal an , schreibt Storm. Ob Johann Casimir die Novelle gelesen hat? Sollte
er sie gelesen haben, dann kann man seine Meinung leicht erraten. Politik poetisch verpackt wie in »Abseits«, das wird ihm so wenig geheuer sein wie das Nationale und Demokratische, das gerade in allen Köpfen umhergeistert. Sein erfolgreiches Wirken als Advokat und Geschäftsmann ist Vater Storm im vertrauten dänischen Gesamtstaat ermöglicht worden; der dänische König steht als Sinnbild dafür.
Darum leistet Johann Casimir auch den »Homagialeid«, den Treue-Eid, auf den »Protokollprinzen« Christian IX.; er steht damit im Herzogtum Schleswig nicht allein, denn die überwiegende Zahl der Beamten ist dänisch geboren oder dänisch gesinnt. In Holstein, bei Schwiegervater Esmarch, sagen nur die Zoll- und Postbeamten »Ja«, während 5/6 aller sonstigen Staatsdiener mit »Nein« stimmen oder sich Aufschub für die Entscheidung erbeten. Damit schwimmt Vater Storm gegen den Strom, und Vetter Friedlieb aus Kiel meint, er solle doch lieber nicht, wie alljährlich, zum Kieler Umschlag kommen, dem seit 1473 im Januar stattfindenden Markt. Man werde ihm Unfreundlichkeiten sagen, meint der Vetter, und die von der Universität beabsichtigte Verleihung des Ehrendoktortitels werde gewiss auch nicht stattfinden.
Johann Casimir, ganz der Aufrechte, ist dann aber doch tapfer nach Kiel gefahren, hat wohl auch Friedlieb getroffen und mit ihm über Theodor gesprochen. Am 11. und 12. Januar schreiben nämlich beide aus Kiel sehr ähnlich an Theodor in Heiligenstadt: Übereile Dich aber nicht und gieb um des
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