Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
entweichen der preußischen Gefahrenzone, hinterlassen volle Schreibtische und unerledigte Arbeit. Dazu die »Husumer Wochenschau« zehn Tage nach dem Gefecht bei Oeversee: In Angeln hat man seit Vorgestern in vielen Kirchspielen mit der Vertreibung der dänischen Prediger begonnen […] In Loit und Norderbrarup haben die Pastoren vorgestern noch in dänischer Sprache gepredigt . Woher jetzt die Fachleute nehmen? Wie es im Leben so geht: Die Kandidaten stehen schon in den Startlöchern, der Postenschacher hat begonnen.
Die Rätsel mehren sich; aber die Hoffnung nicht , schreibt Storm zwei Tage nach dem Gefecht von Oeversee/Sankelmark an die Eltern. Er begreift nicht, warum die Dänen ihr Danewerk sang- und kampflos verlassen haben. Trotz aller Unklarheit auch in seinen Worten gilt ihm, für die Heimkehr den rechten Augenblick nicht zu versäumen .
Er bedenkt und wägt in seinem Brief an den Vater die eigenen Möglichkeiten: Gehe ich näher auf die Sache ein, so frage ich mich, als was könntest und möchtest du zu Hause wieder eintreten, als Advokat, als Beamter? Und reichen deine Kräfte, um dich – wenn du es erreichen könntest – in die dir bis jetzt unbekannten Geschäfte eines Landvogts oder Bürgermeisters oder dergl. hineinzusetzen? Doch würde das am Ende schon gehen. Eine amtlich so angenehme Stellung wie die meinige hier ist zu Hause für mich nicht zu finden; es müßten denn schon ein paar Justiziariate sein. – Ich habe große Lust, nach dem Schwurgericht, heute über vierzehn Tage, einmal nach Kiel zu gehen. Solltet Ihr meine Gegenwart zu irgendeiner Zeit für ersprießlich halten, so vergeßt nicht, daß wir Telegraphen haben.
Eine Lagebeurteilung als Selbstgespräch, in dem Storm sich selber Mut macht und dabei den Vater zuhören lässt. Auch die neuesten Möglichkeiten der Nachrichtentechnik bezieht er in seine Überlegung ein, und man wundert sich über das Lob, das er seinem Richteramt in Heiligenstadt spendet.
Schon Anfang Januar, als die ersten dänisch Gesinnten ihre Koffer packten und die Arbeit liegen ließen, griffen Husumer Bürger zur Selbsthilfe und wählten sich ihre Beamten. So kam es, dass Mutter Lucie ihrem Sohn bereits am 12. Januar schreiben konnte, er sei zum Bürgermeister gewählt worden, und Vetter Friedlieb adressierte seinen Brief schon an den Herrn Bürgermeister Th. Woldsen Storm zur Zeit noch Preuß. Kreisrichter zu Heiligenstadt .
In seinem Erinnerungsbuch »Gedenkblätter« schreibt Ferdinand Tönnies (1855–1936): In das Amt des Landvogts war er vom versammelten Volke zu Husum in Caspersens Saal (…) ausgerufen worden, nachdem der bisherige dänisch gesinnte Landvogt durch ebensolche Versammlung abgesetzt war. Das vollzog sich in plattdeutscher Sprache. »Wul schall unse Landvagt sin?« »Storm schall unse Landvagt sin« –, dann wurde durch den Vorsitzenden, Schneider Adolph Mangels, der Name Storm an die Wandtafel geschrieben . Tönnies, der spätere Schulfreund von Storms Sohn Karl und ein Bewunderer des Dichters, war zum Zeitpunkt der Wahl gerade neun Jahre alt, er hat sie nicht selber erlebt und kannte diese schöne Geschichte, die zu den berühmten Storm-Anekdoten zählt, nur vom Hörensagen; er hat sie im Abstand von sechzig Jahren niedergeschrieben. Ob sich die Storm-Wahl wirklich so zugetragen hat?
Zweifellos ist er von seinen Husumer Mitbürgern gewählt worden, denn auch Vater Storm berichtet davon: Heute haben Eiderstedter u Husumer Eingeseßne ihre Beamten gewählt – und Dich als Landvogt gewählt.
Zweifelsfrei ist aber auch, dass die zur Selbsthilfe greifenden Bürger ihre Wahlen in einer Zeit des politischen Übergangs und staatsrechtlicher Unklarheit veranstalteten. Rechtskräftig wären sie nur mit der Zustimmung des von Preußen ernannten und in Flensburg schon amtierenden Königlichen Zivilkommissars und späteren Regierungspräsidenten Konstantin Freiherr von Zedlitz-Neukirch (1813–1889). Der klar blickende Johann Casimir schreibt weiter: Dieß ist also aus dem Volke ohne weitere Authorisation u wenn man will aus Nothwendigkeit, da keine Beamte dahier sind, geschehen. Civilcommissare von Preußen u Österreich sind nicht hier, auch kein Militär!
Storm muss seine Antwort auf das Telegramm, er sei in Husum zum Landvogt gewählt worden, abwartend formuliert haben. Nach reiflicher gemeinsamer Überlegung mit Constanze reist er über Altona nach Husum, wo er am 13. Februar auf offenem Wagen in schneidendem Nordwind abends um sieben Uhr
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