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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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muss neben der Landvogtsarbeit eine neue Novelle geschrieben werden. Das Honorar muss her, damit die Familie so leben kann, wie Storm sich das vorstellt. Für die Reparatur der künstlerisch mangelhaften Novelle fehlen Zeit und Geld, Geduld und Spucke. Auch wenn Storm selber der Mangel bewusst ist, so ist ihm, wie jedem Autor, das »neue Kind« stets wichtiger, es soll möglichst schnell ans Licht, um neues Lob in Empfang zu nehmen, es soll schnell zum Verleger und mittels Zeitschrift in die Öffentlichkeit; denn je früher das geschieht, desto eher kommt das Honorar, desto schneller ist er bei einer neuen Novelle. Für einen Roman kann Storm sich darum die Zeit nicht nehmen.
    Es ist, als wenn Storm mit der Novelle »Der Spiegel des Cyprianus« wieder heimatlichen Boden betritt, nachdem er sich in der unbekannten westindischen Inselwelt bewegt hat. Einen Unterschied wie Tag und Nacht offenbart diese Geschichte, die Storm bald nach »Von Jenseit des Meeres« noch im Jahre 1864 vollendet. Er zählt sie, wie schon »Bulemanns Haus«, zu seinen Märchen. Sie ist jedoch eine Schauergeschichte in der Art der englischen »Gothic Novel« und erinnert mit der Konsequenz und Unerbittlichkeit des Erzählens an Edgar Allan Poes Schauergeschichten.
    Auch um diese Erzählung legt Storm einen Rahmen; der Leser erlebt gleich zu Anfang wieder die Stormsche Betulichkeit und Umständlichkeit des Erzählens, und Storm-erprobt wappnet er sich. Dann aber entwickelt die Binnengeschichte, die Storm mit glücklichem Instinkt aus der Perspektive einer allwissenden Erzählerin abrollen lässt, Eigenkraft und atemraubende Spannung. Der Leser mag nun den Text nicht loslassen, spürt, trotz der im sagenhaften Dunkel einer weit zurückliegenden Zeit vorbeiziehenden Geschichte, Gegenwart und Nähe des Geschehens, das der Autor immer wieder beschwört. Es ist diese körperlich greifbare Gegenwart und Nähe – Storm sucht sie auch immer wieder im Leben –, durch die er seine Texte lebendig werden lässt. Sie sind ihr Wesen, sie erzeugen die Storm-Faszination bis immer zu dem Punkt und Komma, wo der Leser plötzlich mit enttäuschtem Gesicht dasitzt, wie auch in der Geschichte vom Spiegel des Cyprianus. Er wird herausgerissen aus dem fesselnden Stück Erzählung, das vom gnadenlosen Verfolgen und Töten handelt, und er landet wieder in dem altbekannten Biedermannrahmen. Dann schippert er mit der Geschichte in lau und flau fließendem Fahrwasser bis an einen Schluss, der einem Märchen fremd ist, dem Herz-und-Schmerz einer Liebesschnulze aber nahe verwandt.

Ich werde fett und melancholisch
    Für Constanze bedeutet das Heimkommen in Husum gleich wieder Krankheit, nachdem sie in Heiligenstadt durchgehalten hat. Auch ihr ist der Abschied dort schwergefallen, sie lobt die Freundlichkeit der Menschen und das warme Wetter dort. Ich kam auch so prächtig gesund hier an, daß es eine wahre Freude war, aber hier das kalte Haus, wo, wie in 2–3 Monaten nicht geheizt war that mir den Tod an, außerdem sind im ganzen Hause (…) Oefen, die kein Mensch zu heizen verstand, da hat uns denn gefroren wie in vielen Jahren nicht, schreibt sie ihren Eltern nach Segeberg. Sie hat sich mit Karls Rachencroup (Diphtherie) angesteckt. Während dem Sohn von dieser scheußlichen Krankheit das Schlimmste erspart bleibt, trifft sie Constanze gleich nach ihrem 39. Geburtstag mit voller Wucht. Sie hat schwer darniedergelegen, so daß mein Bruder Dr. sehr besorgt war, ist jedoch jetzt schon wieder im Garten gewesen, schreibt Storm an Pietsch. Weitere Gefahr droht: In Husum gehen die schwarzen Pocken um; zwei Todesfälle sind schon gemeldet worden. Theodor und Constanze, die Kinder und das Kindermädchen Anna lassen sich impfen. Noch ist das Familienleben im Lot: Die drei Jungs (15, 13, 11) besuchen das neue Husumer Gymnasium, Lisbeth (9) erhält Unterricht bei einem Fräulein, das in unmittelbarer Nähe wohnt; geschickt und fleißig geht sie um mit Nähnadel und Strickzeug. Lucie (4) schnackt mir immer dazwischen und umarmt quanzweise [nur zum Schein] mein Gesicht . Constanze hat gerade ihr jüngstes Kind entwöhnt und meldet nach Segeberg: Elsabe ist ein wahres Prachtstück.
    Wenn auch keine ernst zu nehmende Krankheit den Dichter gepackt hat, so sind doch seine Nerven angegriffen, ich werde fett und melancholisch und Kindertrudel ist mir ein Greuel. In der Tat, ich habe Angst, daß mein bißchen Körper bei diesen letzten Dingen mehr abkriegt, als er vertragen konnte; mich

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