Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
wird sich so erfüllen, wie ich es von ganzem Herzen hoffe und wünsche . Storms Antwort ist etwas wirr, sie offenbart nach wie vor seinen Dickkopf und auch, dass er nichts aufs Spiel setzen möchte: Was Du mir von der Ungnade des preußischen Ministerii gegen mich schreibst, so begreife ich vollständig, daß ich, wie ich nun bin, diesen Leuten eine persona ingrata [nicht genehme Person] bin (…) Es wäre übrigens hübsch, wenn die Preußen sich so an die Stelle der Dänen setzten; daß sie ihrerseits uns jetzt wegjagten, entspräche ja auch ganz der Bismarckschen Räuberpolitik. Wenn nicht die freche Junkerherrschaft bei Euch jetzt mindestens auf meine Lebensdauer in Aussicht stände, so hätte ich objektiv nicht soviel gegen die preußische Annexion; so aber möchte ich mir den Ärger lieber sparen .
Warum lässt Storm immer wieder seinem Preußenhass die Zügel schießen? Wo liegt der begraben? Das über Jahrhunderte und Generationen kultivierte Freiheits- und Unabhängigkeitsbedürfnis, das Storms Friesenseele erfüllt, kennt den Gedanken des Dienens, der in Preußen über Generationen auf seine Weise kultiviert und vom Herrscher vorgelebt wurde, nicht. Dienen bedeutet für Storm, der selber Herr und Aristokrat sein will, Unterwerfung. Inbegriff der Unterwerfung ist ihm das preußische Junkertum.
Storms Preußenhass, der sich verschwommen oder abwegig äußert, lebt und arbeitet in der heidnischen Gestimmtheit seines friesischen Dickschädels. Dabei ist er – wie in der Liebe – ebenso ichsüchtig und eitel wie verrannt und anmaßend, und doch ist bei ihm alles durchwirkt mit Zweifel und Leid.
Balsam sind da Wiedersehen und Zuspruch von Freunden. Fontane kündigt seinen Besuch in Husum an. Dem Berliner Freund aus Rütli- und Tunnelzeiten ist vertrauter, was Storm in unmittelbarer Nähe unendlich fremd ist. Fontane ist schon im Mai 1864 als Berichterstatter für ein Branden-
burger Wochenblatt hier oben gewesen, um das Kriegsgebiet um Düppel zu bereisen. In den preußischen Triumphton nach dem Sieg mag er allerdings nicht einstimmen: Die Schanzen sind hin, ihr Zauber ist gebrochen. Möge auch zum letzten Male die Erde hier roth gefärbt und jener unheimliche Name auf immer von dieser Stelle genommen sein, schreibt er in »Von Flensburg bis Düppel«.
Im September 1864 reist er noch einmal in den Norden; er besucht Kopenhagen und Roskilde. Der Rückweg führt ihn auch nach Flensburg. Dort, im »Hotel Rasch« am Nordermarkt, überschreibt er seinen Brief an Storm mit Geehrter Freund, Dichter und Hardesvogt. Nach seiner Dänemarkreise vermutet Fontane Freund Storm nicht ganz zu Unrecht in diesem Amt. Er möchte ihn und seine Constanze auf eine halbe Stunde in Husum treffen und in einem Boot wenigstens die nächstgelegene der friesischen Inseln (…) besuchen .
Postwendend schreibt Storm in alter Anhänglichkeit: Lieber Fontane, Hand aufs Herz, das ist wirklich eine große Freude, und er verbessert Fontanes Hardesvogt in Ihr ThStorm, aber Landvogt . Mit den Söhnen Hans und Ernst steht er am Bahnhof, um den alten Freund zu begrüßen. Fontane übernachtet im »Thomas Hotel«; denn die Storm-Herberge ist voll, und augenblicklich ist sie wegen eines Verwandtenbesuchs sogar überfüllt. Jetzt haben sich ein paar Trümmer des seligen Rütli wiedergefunden. Fontane verbringt den 27. September bei den Storms in der Süderstraße 12. Ein Nachmittagsspaziergang führt sie durch Husum, auf dem Deich entlang gehen sie zu den Austernbecken im Dockkoog, die eine Sensation an der schleswig-holsteinischen Westküste sind; sogar die »Gartenlaube« hat vor zwei Jahren darüber ausführlich berichtet. Wir haben uns in den paar Stunden fast um den Hals geredet, schreibt Storm an Pietsch, Fontane sei trotz seiner Mitredaktionsschaft an der +++ [Neuen Preußischen (Kreuz) Zeitung] ein netter traitabler Mensch – und ein Poet .
Preußen und Schleswig-Holstein, Krieg und Frieden – ein Gesprächsthema? Fontane wird sich klug zurückgehalten haben; denn er kennt Storms wunden Punkt, die tiefe Abneigung gegen Preußen und die Preußenhymne »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?«. Schon in Potsdam hat Storm den Preußen-Ton, der ihm bereits im Kalauer auf den Magen schlug, nicht vertragen. Der Ton, den die »Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung« in nur einem Satz hinausposaunte, war ihm ebenso ungeheuer: Als Seine Majestät der König in Begleitung Sr. K. Hoheit des Kronprinzen und des Prinzen Friedrich Carl am 23.
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