Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
sie sich nun bei ihrem Herzensmann zu Wort meldet, nachdem sie in Segeberg mit Doris zusammengetroffen ist. Die im vierten Monat schwangere Constanze schließt ihren Brief mit Und jetzt mein Theodor leb wohl , i ch bin und bleibe doch ewig Dein allein, Deine Constanze. Dann aber fügt sie noch einen Satz hinzu, den sie während des Briefschreibens ständig im Kopf gehabt haben muss; er beschwört das Eifersuchtsleid ihres Lebens: Du und wenn ich todt bleibe nimm doch keine zweite Frau, ich glaub ich könnt’s nicht gut ertragen.
Storm antwortet darauf zwei Tage später ebenso rhetorisch geschickt wie ausweichend: Also ich, meine Constanze, soll keine zweite Frau nehmen? Ich wollte, daß dieser Wunsch Dir so recht leidenschaftlich aus dem Herzen käme. Ich hoffe aber, daß einmal Du mich, und nicht ich Dich verlieren werde .
Constanze und Lotte kehren am 7. Dezember nach Husum zurück. Weihnachten steht vor der Tür. Neue Puppen für das Zimmertheater hat Storm sich aus Altona schicken lassen. Storms Stimmung um diese Weihnachtszeit liegt im Tief, er möchte mit den Meinen und einigen Getreuen in den Urwald fliehen, oder wenn wir nur noch eine rechte Heide hätten! Er spürt die argwöhnischen Blicke, die von Berlin aus auf ihn, den von Preußen bezahlten Landvogt, geworfen werden. Er befürchtet Gehaltseinbußen. Er muss hungrige Mäuler stopfen. Constanze ist schwanger und schwach.
Die Sorgen sind hartnäckig und treu. Nun haben sie die Söhne wieder im Griff, denn bei uns geht es in der alten Kalamität fort mit den nervenschwachen Jungen . Hans wird mit Eisen traktiert und muß die halben Schulstunden versäumen. Ernst, der fortwährend an Herzschlagen leidet, kann nicht die mindeste Arbeit tun und geht seit vor Neujahr gar nicht in die Klasse; heute hatte auch Losche [Karl] ohne scheinbare Veranlassung, es sei denn, daß er hung-
rig war, Weinkrampf, schreibt Storm an Pietsch. Die Mädchen halten sich wacker. Nur Lute [Lucie] piepelt [kränkelt] etwas. Inzwischen steht Constanzes Geburtstermin fest: Anfang Mai. Ihr Zustand quält sie mehr als je . Einen Monat vor der Geburt heißt es an Pietsch: Wir leben hier denn so eben fort, in sehnlicher Erwartung der erlösenden Stunde. Constanze ist schwächer als sonst; und ich habe daher auch größere Sorge. Seinen Ältesten charakterisiert Storm als Großvater Hans und seine älteste Tochter Lisbeth leidet an Gelenkrheumatismus, doch glücklicherweise in gelindem Grade, obgleich sie eben erbärmlich geschrieen hat . Kein Rheuma, sondern die schlimmen Folgen von fleißiger Handarbeit? Leg dein Strickzeug mal für eine Weile weg, wäre ein guter elterlicher Rat. Der Familienvater sieht alles Grau in Grau, die Lebenslust ist ihm vollends vergangen: Ich landvogtle nur und bin gesanglos und beklommen .
Ob Storms niedergedrückte Stimmung ihre Ursache womöglich in Constanzes Schwangerschaft hat? Inzwischen hat die Wissenschaft beglaubigt, was der Volksmund schon lange erzählt: Der Mann, der seine Zeuge-Kraft für ein neues Leben opfert, muss erleben, wie seine Partnerin in der Schwangerschaft das werdende Kind teilnehmender und wissbegieriger beobachtet als ihn, den Kindesvater. Nicht genug damit: Auch die Lebewesen um die Schwangere herum, die Kinder, Großeltern und Haustiere, die Onkel und Tanten, die Freunde und Nachbarn, die Bekannten und Unbekannten, alle blicken erwartungsvoll und neugierig auf das geheimnisvoll und wunderbar heranwachsende neue Menschenkind. Und selbstverständlich geht der Blick auch auf den Tag für Tag dicker und runder wachsenden Bauch. Das wirft den stärksten Mann um und lässt die Stimmung eines werdenden Vaters vom Schlage Storm auf null sinken.
Die letzten vierzehn Tage vor der Geburt ihres siebenten Kindes kann Constanze eigentlich nur noch liegen; und w egen eines unerträglichen Brennens im Magen aß sie fast gar nichts, Abends meist nur zwei Eidotter und ein wenig Zwieback. Dann ist am 4. Mai 1865 unter Aemils treuem Beistand ein kräftiges Mädchen bei uns eingesprungen , schreibt Storm den Schwiegereltern nach Segeberg. Gertrud kommt leicht zur Welt. Aemil muss allerdings seine gesammelte ärztliche Kunst aufbieten, um Constanze nach der Entbindung beizustehen, denn es folgten nun mehrere Stunden ohnmachtsartige Zustände. Constanzes schlechte körperliche Verfassung während der Schwangerschaft zehrt gerade jetzt an ihren Kräften. Nach den dramatischen Ohnmachtsanfällen erholt sie sich. Doch war gegen Abend Alles so weit in
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