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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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schon nach weiterem Trost durch neue Liebe.
    Mit Constanzes Tod sei sein eigenstes Leben beschlossen, schreibt er an Klaus Groth, der lange wegen Storms Verriss seiner »Hundert Blätter« (1854) geschwiegen hatte. Nachdem Storm durch seinen Vetter Friedlieb die Novelle »Auf der Universität« hatte übergeben lassen, brach der Kollege aus Kiel sein langes Schweigen mit einem Brief im Dezember 1862 an Storm.
    Die beiden schreiben sich fortan, und manche persönliche Begegnung steht bevor. Sehr persönlich, und wohl auch von Dichter zu Dichter, schreibt Storm ihm nach Constanzes Tod: Sie war bis zu Ende aus aber nicht nur meine Geliebte in des Wortes verwegenster Bedeutung; ich flüchtete auch zu ihr wie das Kind zur Mutter, wenn die »Welt mich kränkte und schlug«; und an dieser treuen Brust fand Alles trostreiche Ausgleichung .
    Das eigenste Leben beschlossen? Schwer vorstellbar, gleichwohl sind Storms Worte wahr, sie kommen aus der Stimmung des Augenblicks, sie entspringen der gedanklichen Zuwendung an den mehr und mehr geschätzten Kollegen und Freund Klaus Groth. Ernst Esmarch, der seinen Schwiegersohn als künstlerisch belebendes Element der Familie schätzt, bringt die Lage auf den Punkt: Dein Geist ist stark, Dein Körper ist aber nicht der stärkste, stütze den Körper durch Deinen starken Geist und erhalte Dich für Constanzens’ Kinder .
    Längst hat sich Storm durch bewusste und unbewusste Selbstbeeinflussung innerlich gewappnet. Er ruft dabei die ihm eigene Zähigkeit an , die er sich schon immer selbst bescheinigt hat, und seine Stärke, die nicht leicht zu brechen ist . Er fasst die vor ihm liegenden Lebensaufgaben, Familie und Landvogtamt, fest ins Auge und hämmert sie sich und seinen Briefpartnern ein mit Arbeit, Arbeit, Arbeit . Mittel der Selbstbeeinflussung sind auch Poesie und Musik.
    Die neugeborene Gertrud wird nun von einer Amme gestillt. In ihren Erinnerungen wird Gertrud später berichten: Einmal, als in den unteren Räumen gesungen wurde, tut sich plötzlich die Tür auf, und herein stürzt in höchster Erregung die Amme mit dem Rufe: »Herr Landvogt, Herr Landvogt, Sie sollen das Lied nicht singen, ich kann es nicht aushalten!« Ein ungeheures Gelächter war die Antwort. Storm hatte eben den Erlkönig gesungen.
    Der letzte Vers dieses Goethe-Gedichts – In seinen Armen das Kind war tot – hat die Amme, die gerade das Kind Gertrud stillt, zutiefst erschreckt, und umso verwunderlicher ist ein ungeheures Gelächter, das ihr entgegenschlägt, als sie sich voller Entsetzen dieses Lied verbittet. Noch verwunderlicher aber ist, dass Gertrud selber in ihrer Schilderung dieser Familienanekdote kein Wort des Verstehens findet, das die Amme in Schutz nimmt, sie hält sie lediglich für etwas überspannt . Mag dies alles auch Kopfschütteln hervorrufen, so zeigt es doch, wie Storm in seiner Trauer um Constanze nicht die Bodenhaftung verliert.

Gehorsam ist eine Hundetugend
    Die Trauergesänge aus »Tiefe Schatten« schreibt Storm schnell aus dem frischen Erleben seines Leides. Constanzes Antlitz fehlt, Storm sieht nur schwarz. Warum tiefe Schatten ? Sind Schatten nicht lang oder kurz, schräge oder gerade, hell oder dunkel? Sieht der Dichter sie tief unten In der Gruft
bei den alten Särgen? Obwohl er zunächst nicht an ihre Veröffentlichung denkt, entschließt er sich dann doch dazu und gibt einige von ihnen, zusammen mit dem Gedicht »Trost«, an den Schriftstellerkollegen Christian Schad, nachdem der ihn um einen Beitrag für den Band »Deutsche Dichter-Gaben« gebeten hatte. Der erwirtschaftete Gewinn dieses Bandes soll dem aus englischem Exil zurückkehrenden Ferdinand Freiligrath zufließen.
    Hans, der inzwischen achtzehnjährige Älteste, kennt die Verse selbstverständlich und wird nur zu gut den verzweifelt-erschütternden Gang mit seinem Vater hinter dem Sarg erinnern; dass der sie nun hergibt, empfindet er als Rücksichtslosigkeit und Verletzung seines Schamgefühls. Storm antwortet ihm: Du meinst, ich hätte die Gedichte nicht drucken lassen sollen. Ich glaube, daß Du Dich irrst, mein liebes Kind. Ein Dichter, der an seinen Beruf glaubt – und das tue ich – darf gerade sein Heiligstes seinem Volk nicht vorenthalten; ich glaube sogar, es ist ein Kennzeichen des echten Dichters, daß er es ohne Scheu hingibt, vielmehr mit dem Bewusstsein, damit im Dienste des Großen und Schönen zu stehen. Wie der Reiche dem geliebten Toten ein Monument von Marmor setzt, so setzt der echte

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