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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Dichter ein Monument aere perennius [dauernder als Erz, nach Horaz, Oden III , 30, 1] in der Kunst des Wortes ausgeprägt, und findet seinen Stolz und sein schmerzliches Glück darin, sich vor aller Welt zu dem Geliebten zu bekennen . Gewaltige, von oben herab gesprochene Worte der Einschüchterung, die der Vater noch verstärkt mit dem Gedicht Was ist mir denn so wehe aus Eichendorffs Kindertotenklage. Dass ein Dichter seinem Volk verpflichtet sei, sein Heiligstes zu opfern, klingt bei Storm fremd und falsch-feierlich. Hans ist Praktiker des Mitleids und des Helfens; er hätte gewiss verstanden und der Veröffentlichung zugestimmt, wenn Storm ihm die Freiligrath-Geschichte ohne Angeberei und Poeten-Säbelgerassel erzählt hätte.
    Storm nutzt den Vorwurf seines Sohnes zur weiteren Selbstdarstellung, indem er vom überraschenden, ihn zu Recht mit Stolz erfüllenden Hausbesuch seines Verlegers Westermann berichtet. War das nicht nett, alter Hans? , schreibt Storm und lässt aus der Selbstbespiegelung einen pädagogischen Wink mit dem Zaunpfahl folgen, mit dem auch heute noch so mancher Vater winkt: Ich sage, man leiste nur was und lasse Wirkung von sich ausgehen, so kommen gute Gegenwirkungen von selbst .
    Hans leistet nicht, was die Erwartungen seines Vaters zufriedenstellt; Gegenwirkungen bleiben aus. Die Familie, die Freunde erkennen Storms großes Sorgenkind, auch blicken sie seltsam berührt auf seine Kindererziehung, die einerseits von Befehl und Gehorsam gekennzeichnet ist, andererseits aber Freiheit predigt. Gehorsam verlange ich nicht von meinen Kindern. Gehorsam ist eine Hundetugend. Das Zitat ist überliefert von Tochter Gertrud; sie lässt diesen Satz ihres Vaters aber nicht so stehen, sondern fügt selber noch hinzu: Dabei hätte ich Vater sehen mögen, wenn ihm eins seiner Kinder den Gehorsam verweigert hätte!
    Storms Erziehungspraxis heißt »passionelle Autorität«; sie zielt auf Überwältigung, und seine glänzende Sprachbegabung leistet ihm dabei rhetorischen Beistand. Die Sorge und das »Kümmern«, die ihm sein Bedürfnis nach Nähe sichern, sind auch ein Werkzeug der Machtausübung. Storms Bitten um Verzeihung, seine Selbstanklagen folgen der Anstrengung und Spannung, die seine Leidenschaft hervorruft; er benötigt sie dringend zur Erholung. Schon in den Briefen an Constanze haben wir ihn erlebt in seiner verzweifelten Leidenschaft, das Liebste niederzuzwingen, um sich postwendend dafür anzuklagen und danach gleich wieder aufzurichten. In den Briefen an seine Söhne setzt er das fort. Auch die Töchter müssen das erleben, sie kommen allerdings glimpflicher davon, aus einem einfachen Grund: Als Frauen sind sie nicht so wichtig.
    Die Schwierigkeiten, die Hans von klein auf anhängen, seine körperliche und seelische Schwäche, seine mangelhafte geistige Sammlungskraft, seine Überspanntheit, nimmt Storm wahr als Eigenschaften, die abgewehrt werden müssen. Nach der Wahrnehmung verdrängt Storm das Problem, um sich dann mittels Selbsttäuschung weiterzuhelfen. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein, so mag eine Stimme ihn regieren und ihn fromme Wunschvorstellungen entwickeln lassen.
    Storm will seine männliche Nachkommenschaft in der gesellschaftlichen Stellung haben, die er sich selber zumisst. Scheiterten die Söhne, dann wäre es, als wäre er selber gescheitert. Der Kampf, den er lebenslang mehr gegen als für seine Söhne kämpft, kostet ihn seelische und körperliche Kraft im Übermaß; für die Söhne Hans und Karl bedeutet er körperlichen Ruin und seelischen Bankrott. Ernst, dem zweiten, widerfährt nur äußerlich ein besseres Schicksal. Bei näherem Hinsehen entdeckt man in ihm, wie bei den Brüdern, den Haltlosen, Verunsicherten, Unentschlossenen, Unzuverlässigen, eine Persönlichkeit mit zerrüttetem Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein wurde den Brüdern vom Vater ausgetrieben.
    Storms Hoffnung, seine Söhne möchten sich in Schule und Studium, Beruf und Gesellschaft bewähren und dort die Anerkennung finden, die auch ihn selber in ein günstiges Vaterlicht rückt, steht von Anfang an dick unterstrichen auf seiner Lebenswunschliste. Vorerst muss Hans, der Älteste, auf den Weg geschickt werden. Nach vielem Nerven und Kraft kostenden Herumprobieren mit Schulbesuch und krankheitsbedingtem Fehlen und Vater Storms Privatunterricht, nach Schlosserlehre in Heiligenstadt und hochfliegenden Ingenieursplänen, nach kurzem Schulbesuch in Husum muss Storms Ältester nun auch das

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