Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
beide Doris zu ihrem einundfünfzigsten Geburtstag und überreichen als Geschenk ein selbstgemaltes Bild. Als Neunzehnjährige wird Fanny in einem Brief beschreiben, was den Töchtern von der Gesellschaft zugemutet wird und was sie dort erwartet: Sie machen sich gar keinen Begriff, wie mit solch unglücklichen Backfischen zu Hause und in den Pensionen verfahren wird, ihnen werden die unnötigsten, uninteressantesten Kenntnisse eingetrichtert, furchtbar viel Religion, Grammatik, Handarbeiten und Klavier. Sie sollen gewaltsam in eine Schablone gepreßt werden; was dabei herauskommt, können Sie an den Durchschnitts-jungen Mädchen und -Frauen sehen, ungebildete, bleichsüchtige, spitzenklöppelnde, interesselose Geschöpfe; die, wenn sie sich verheiraten, in Haushalts- und Kindergeschichten aufgehen und ihrem Mann unmöglich etwas sein können, als eben seine Hausfrau –, bleiben sie ledig, so entsteht aus ihnen die Sippe der unleidlichen alten Jungfern, über die sich alles lustig macht, deren »Wirkungskreis« in Kaffeeklatsch und Diaspora besteht .
Das Sorgenkind Hans im Unglück kann auch als Arzt in Heiligenhafen vom Glück keinen Zipfel erhaschen. Storms Tochter-Opfer Lisbeth hat nichts genützt, und doch hat Lisbeth es möglich gemacht, ihm von seinen Rechnungseinnahmen etwa 1500 M. zu entreißen u. abzutragen, schreibt Storm an Karl. Der Konkurs, den Vater Storm in »Carsten Curator« vorausschauend beschrieben hatte und den er Weihnachten 1878 schon kommen sah, trifft den Ältesten im darauffolgenden Frühjahr. Dieser Trunkenbold wird mir den Rest des Lebens kosten , schreibt Storm an Ernst. Jetzt bloß nicht nach Heiligenhafen reisen und Feuerwehr spielen wie vor zwei Jahren in Würzburg. Er will bei seiner Doris bleiben, sie wird von Seelentiefs und heftigen Kopfschmerzen heimgesucht und Storm setzt ihr Blutegel.
Hans darf weiter praktizieren, wenn auch unter erschwerten Bedingungen; man hat ihm seine Instrumente und Bücher beschlagnahmt. Doris verfasst eine lange Liste der beschlagnahmten Sachen, Storm ist bereit, sie zurückzukaufen. Ich bin bös verschlissen augenblicklich , schreibt er an Ernst; seine neue Novelle kann er trotzdem abschließen. Mit »Eekenhof« hat er sich in sagenhaft ferne Zeiten begeben und zurückgezogen aus den Beschwernissen und Kümmernissen seines Alltags. Da ist psychologisch sicherer Grund, dort kann er mit sicherer Hand seiner Sprachkunst leben und einem Thema nachspüren, das ihn lebenslang interessiert: Geschwisterliebe.
Und er kann mit Hans Speckters vermittelnder Hilfe seine alte Idee verwirklichen: Hans abschieben, so weit weg wie möglich. Am 5. Septbr. geht er auf dem Steamer »Santos«, dem schönsten Schiff der südamerikanisch. Dampfschiffahrtsgesellschaft als Schiffsarzt in See, wo er außer freier Station (natürlich Alles vorzüglich) mit 1 Fl. Wein täglich monatlich 120 M. Gehalt hat. In einem weiteren Brief seines Husumer Dichterfreundes liest Paul Heyse: Alles aufs Opulenteste. Dass dem Alkoholiker Hans jeden Tag eine Flasche Wein als Teil seines Lohns zusteht, scheint Storm nicht weiter zu stören. Dass der Asthmatiker Hans sich mit der Droge Erleichterung von seinem Leiden zu verschaffen sucht, weiß der Vater sicher nicht. Ob ihn als Vater eine Schuld trifft, das fragt Storm sich selber und den Freund. Schmerzende Erinnerung im Grundbass seines Lebens »Es ist doch alles umsonst gewesen« aus »Aquis submersus«: Sorgsam legte ich mein Kind in seine Kissen und drückte ihm sanft beide Augen zu. Dann tauchete ich meinen Pinsel in ein dunkles Roth und schrieb unten in den Schatten des Bildes die Buchstaben C. P. A. S. Das sollte heißen: Culpa Patris Aquis Submersus, »Durch Vaters Schuld in der Fluth versunken« .
Storm empfiehlt seinem Sohn gegen seine Trunksucht die allerneueste Heilmethode: rote Perurinde, eine Empfehlung von amerikanischen Ärzten . Eine Abkochung in Alkohol genüge, um aus einem Trunkenbold einen Temperenzler zu machen. Die Perurinde wächst vor allem in Südamerika auf dem Chinarindenbaum und dient heute zur Herstellung von Chinin. Als Mittel gegen Trunksucht ist sie bisher nicht in Erscheinung getreten, wohl aber bewirkt sie Magenstörungen und Erbrechen. Auch Hans reagiert darauf so. Einmal und nie wieder.
Sorge und Kummer mit den anderen beiden halten sich jetzt in Grenzen. Ernst geht seinen Weg zur juristischen Abschlussprüfung. Ein verstauchter Fuß lässt ihn allerdings den Weg schwerer gehen. Gestürzt und Alkohol im
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